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„Man sollte wissen,dass man solche Monster hat“

Der Bremer Veranstaltungstechniker Thorsten Wieckert hat es lange mit dem Alkohol übertrieben. Bis er entschied, sich nicht länger zu betäuben. Ein Gespräch übers Durchhalten und Glück in der Kleingartenparzelle

Thorsten Wieckert49, gelernter Veranstaltungstechniker. Arbeitet als technische Assistenz der Geschäftsleitung, IT-Administrator und VA-Techniker im Bremer Kulturzentrum Lagerhaus Foto: Hannes von der Fecht

Interview Friederike Gräff

taz: Herr Wieckert, es ist ungewöhnlich, dass Sie offen mit mir über die Herausforderung Alkohol sprechen.

Thorsten Wieckert: Ich kann nur schlecht lügen. Auf jeden Fall sage ich lieber, was ich habe oder was mich bedrückt. Früher in der Kneipe habe ich mir irgendwelche Leute gesucht und mit denen über meine Probleme gesprochen, weil die unbefangen mir gegenüber waren. Das mache ich mittlerweile nicht mehr. Aber ich glaube, man sollte seine Probleme angehen, ansonsten kriegt man sie nicht gelöst.

taz: Wie sind Sie den Alkohol angegangen?

Wieckert: Es ist nicht so, dass ich komplett alkoholfrei bin. Ich gehe schon trinken, aber ich habe vor ein paar Jahren aufgehört, vor irgend­welchem Frust wegzulaufen. Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man lachend in der Kneipe sitzt oder wie ein Tropfen Wasser in einer Kurve vor sich hin säuft. Ich habe mich im Winter öfter in die Kneipe gesetzt und gesagt: Ach, komm, ein, zwei Bier, statt zu Hause zu sitzen und Depri zu schieben. Da unterhalte ich mich lieber mit Leuten und sorge dafür, dass meine Gehirnmasse nicht schrumpft.

taz: Es heißt oft, es sei herausfordernder, in einer Sache Maß zu halten, als komplett aufzuhören.

Wieckert: Wenn du eine harte Grenze ziehst, hast du nicht das Problem, wie du mit dir umgehst, wenn du dann doch mal zu viel getrunken hast. Das passiert mir schon. Es ist allerdings so, dass ich mir dann keine Vorwürfe mache. Dann war es halt ein lustiger Abend und nicht ich notwendigerweise besonders frustriert.

taz: Woher kam der Anstoß, das Trinken stärker zu dosieren?

Wieckert: Ich habe es stark übertrieben. Bis vor zehn Jahren hat mich mein Leben mit Blackouts begleitet. Jeden dritten Tag, jeden zweiten, je nachdem, wie viel Geld da war. Und zudem hat meine Freundin mich da positiv inspiriert: Sie hat mir auf verschiedenste Arten und Weisen gesagt, dass sie mit mir, dem Nüchternen, sehr gerne zusammen ist und auch viel mehr Zeit verbringen möchte. ­Irgendwann hatte ich es kapiert. Ich war betrunken sehr unangenehm, da kam meine böse Seite hervor. Mir ist klar geworden, dass ich nicht möchte, dass die Leute zusammenzucken, wenn ich den Raum betrete, sondern sie ­sollen sich freuen.

taz: Das klingt nach einer Zeit, in der Ihr Leben sehr am Anschlag war.

Wieckert: Ich habe da viel gearbeitet und das Trinken war auch ein Kompensationsmittel, wie eine fehlgeleitete Selbstbelohnung. Eigentlich raubst du dir damit noch mehr Energie. Und das habe ich natürlich auch gemerkt.

taz: Also Alkohol als Hilfe zum ­Runterkommen?

Wieckert: Es war ein Umgang mit Überforderung.

taz: Wie sah die Wende aus?

Wieckert: Ich hatte vor ein paar ­Jahren Burn-out und kam zu einer sehr genialen Therapeutin. Sie hat entdeckt, dass eines meiner grundlegenden Probleme war, dass ich immer auf der Suche nach Bestätigung durch andere war, weil ich mir eine eigene Bewertung nicht zugetraut habe. Es war das Prinzip, viel zu arbeiten, und wenn dann die Bestätigung nicht da war, die durch Alkohol zu generieren.

taz: Sie sind Veranstaltungstechniker – ist das in Sachen Bestätigung undankbar, weil alle nur auf die Personen auf der Bühne gucken und nicht auf diejenigen, die die Hintergrundarbeit gemacht haben?

Wieckert: Du kannst es dir so vorstellen: Du baust irgendwo eine Veranstaltung auf, baust sie wieder ab und dann ist halt nichts mehr davon über. Wenn du ein Bild gemalt hast, dann siehst du das auch später noch. Oder bei der ­Gartenarbeit – damit habe ich in der Therapiezeit angefangen, das war ein guter Wegbegleiter. Ich habe ein Parzellengrundstück, das komplett mit Brombeeren überwachsen war. Die habe ich von Hand ausgegraben und dann ­Woche für Woche gesehen, was ich erreicht habe. Das hat mich total glücklich gemacht.

taz: Wo sind Sie derzeit auf diesem Weg, Bestätigung nicht so stark außen zu suchen?

Wieckert: Ich war gerade im Krankenhaus, weil mein rechter Lungenflügel kollabiert ist. Erst jetzt bemerke ich, dass ich die ganze Zeit versucht habe, meine Persönlichkeit, meine Art so zu unterdrücken, dass andere Leute mit mir klarkommen. Teile meiner depressiven Momente kamen auch davon, dass ich mein inneres Kind unterdrückt und vernachlässigt habe. Ich habe ihm erst einmal ein Lego-Raumschiff und ein Rätselspiel für Kinder gekauft. Es fängt langsam wieder an zu lachen.

taz: Wie klingt das?

Wieckert: Es geht mit ungehemmtem Ansprechen von Personen und Lösungen einher, einem wissensdurstigen Nachfragen. Ein tolles Gefühl. Aber gerade jetzt, genau an diesem Punkt heißt es für mich durchhalten. Und mich nicht wieder wie zuvor zu betäuben mit dem Gedanken: Hoffentlich überfordert meine Art die Anderen nicht. Ich muss es unterlassen, mich auszubremsen.

taz: Gelingt das?

Wieckert:Ich weiß inzwischen, dass ich gut bin. Meine Therapie bestand darin, 100 Mal am Tag zu sagen: „Ich bin okay, wie ich bin.“ Meine Therapeutin meinte, ich muss nicht daran glauben, das kommt von alleine. Und es hat wirklich funktioniert, dass ich mir selbst vertraut habe und nicht ständig darauf erpicht war, dass jemand mich bestätigt.

taz: Wie war das Echo von außen auf die Veränderungen?

Wieckert: Durch das viele Trinken hatte ich immer Verspätung. Ich bin jetzt immer noch gelegentlich verspätet, aber dann sage ich zumindest Bescheid. Ich bin kalkulierbarer geworden, das hat meine Umwelt natürlich gemerkt.

taz: Man kennt ja die eigenen dunklen Flecke. Ich stelle mir vor, dass sie durch Alkohol für die anderen plötzlich auch sichtbar werden.

Wieckert: Man sollte zumindest einmal in den Keller gegangen sein, um zu wissen, dass man selbst Monster hat. Man sollte diese Monster sehr gut kennen. Aber dass sie zutage kommen, das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Früher, wenn ich betrunken war, kam es sehr schnell mal dazu, dass ich etwas missverstanden habe und dazu kam ein kleines Ego. Mittlerweile habe ich eine Fundamenterweiterung vorgenommen, sodass mich so schnell nichts mehr umhaut. Ich kann mir ein eigenes Bild machen, ohne gleich umzukippen.

taz: Würden Sie rückblickend sagen, Sie waren alkoholkrank?

Wieckert: Für mich ist Alkohol eher ein Tool – und ich habe es falsch benutzt. Ein Kranker würde sowieso niemals sagen, dass er krank ist. Aber ich glaube, ich war es nicht. Momentan habe ich das Gefühl, dass ich einen guten Umgang damit habe. Auch wenn ich mal häufiger in der Kneipe war, als es eigentlich üblich ist, ist das eine Zeit lang okay für mich. Wenn ich das jetzt, wo die Tage wieder heller werden, immer noch machen würde, dann würde ich mir Sorgen machen.

taz: Das heißt, die Erfahrung, berauscht zu sein, haben Sie nicht komplett aufgegeben, aber Sie können sie besser kontrollieren?

Wieckert:Wenn du den Rausch freilässt, dann hat er dich in der Hand. Du kannst nur sagen: Okay, ich lasse ihn jetzt bewusst zu. Deine innere Zensur ist ausgeschaltet und du bewertest die Situation nicht mehr so, wie du sie als nüchterner Menschen betrachtest. Ich werde nicht mehr so böse wie früher, weil ich nicht mehr das kleine Ego habe.

taz: Bleibt es eine Herausforderung?

Durchhalten

Gefühlt gibt es überall Krisen: Klimakrise, Ukraine-Krieg, Aufwind für Rechtsaußen. Und der Kampf dagegen scheint zu stocken.

Der richtige Zeitpunkt also, um auf Menschen zu schauen, die durchhalten: politisch oder privat. Die

taz nord stellt

in loser Folge Beispiele dafür vor.

Wieckert: Ja. Aber man kann sich, wenn man sich das selbst als Aufgabe stellt, leichter machen, als wenn man sich sagt: Ich habe ein Problem.

taz: Das Oberthema unserer Interviewreihe ist „Durchhalten“. Würden Sie sagen, dass Sie überhaupt eine Alternative zum Durchhalten hatten?

Wieckert: Ich bezeichne das Trinken nicht als Sucht, sondern als Tool. Ich muss natürlich dranbleiben, damit ich mein Tool nicht über das Maß hinaus beanspruche. Ich muss immer wieder gucken: „Okay, jetzt ist erst mal wieder gut. Jetzt werden die Tage wieder heller, jetzt kannst du auch mal wieder was anderes machen als Abendgestaltung.“ Ich programmiere ein bisschen, dann suche ich mir Aufgaben und löse sie anhand von kleinen Geräten.

taz: Ist das ein Thema, über das Sie mit anderen sprechen, bei denen Sie das Gefühl haben, dass sie vielleicht aus der Kurve fliegen?

Wieckert: Wenn, dann mit der Einleitung: „Darf ich dich zu diesem Thema inspirieren?“ Dann kann der Mensch sich selbst aussuchen, ob er das annehmen will oder nicht. Es sei denn, es entwickelt sich zum ernsthaften Problemfall, dann sage ich schon: Ich hab auch mal eine Therapie gemacht, vielleicht tut dir das auch gut.

taz: Die Monster im Keller angucken.

Wieckert:Man muss nicht unbedingt immer in den Keller gehen und die Monster rausholen. Aber man sollte wissen, dass man solche Monster hat. Bei manchen Sachen muss man sie auch irgendwie bändigen. Die sind vielleicht sehr tief verwurzelt, aber zumindest sollte man versuchen, sie anzugehen.

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