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Archiv-Artikel

Man muss auch manchmal hart sein

Die größten Ziele: Auf jeden Fall alle Zähne wieder mit nach Hause zu bringen. Beim Thai-Boxen geht es beim Schlagabtausch eher kurz und schmerzvoll zur Sache. Aber wenigstens sorgt dezentes Diskolicht für eine milde Atmosphäre rundherum, und hinterher herrscht wieder freundschaftliche Harmonie

Aus Hamburg Hendrik Ternieden

Das maskuline Erscheinungsbild ist nahezu einheitlich. Der Blick stolz, das Kreuz breit, die Gel-Frisur so stylisch wie die Klamotten. Dezente Diskobeleuchtung tüncht an diesem Samstag den VIP-Saal im CCH in eine milde Atmosphäre. Als Normalsterblicher fällt es zwischen all diesen Erscheinungen nicht leicht, Haltung zu bewahren. Aus den Boxen ertönt entspannte Musik – noch. Es bleiben dreißig Minuten bis zum ersten Gong. An kleinen Tischen werden die letzten Kämpfe und neuesten Finten besprochen. Es herrscht kultivierter Smalltalk unter den Fans der martialischen Kampfkunst.

Zurückhaltend stimmen sich die Besucher auf die acht Thai-Box-Kämpfe des Abends ein. Den Höhepunkt bildet die Titelverteidigung des Hamburger Weltmeisters Marco Stünkel gegen Sitichoke Lukprapaht, einen Herausforderer aus dem Mutterland dieser Sportart, aus Thailand. Zusehends füllt sich die Halle und auch die VIPs werden langsam aufgefordert ihre Sitzplätze am Ring einzunehmen.

Laute Rockmusik ertönt, eine Nebelmaschine sorgt für den nötigen Show-Effekt und aus dem Dunst heraus tritt Michael Struve. Der 36-jährige Hamburger tänzelt zu seiner persönlichen Einlaufmusik, sein Blick ist entschlossen. Sein türkischer Gegner erwartet ihn bereits im Ring. Von der gediegenen Stimmung vor den Kämpfen ist nun nichts mehr zu spüren. Die Halle feiert. Eine Minute später liegt Struve das erste Mal auf dem Rücken. Ein Fuß des Türken traf klatschend die Wade des Lokalmatadors. Beide kämpfen verbissen: Eine Faust trifft Struves Kopf, der rammt im Gegenzug seinem Gegner das Knie in den Magen. Das Publikum ist hellwach und gibt sachverständige Kommentare ab: „Hau ihn um!“, „Knie, benutz dein Knie!“

In den ersten Sitzreihen, direkt am Ring, ist die Wucht der Schläge und Tritte besonders spürbar. Selbst die orientalische Musik, die das wütende Ringen begleitet, kann die Kampfgeräusche nicht übertönen. Weder das fiese Klatschen, mit dem ein Tritt den Oberschenkel des Widersachers trifft, noch das tumbe „Baff“ der Boxhandschuhe im Gesicht des Gegners.

Siebenmal wird Struve noch angezählt. Die Punktrichter meinen es aber gut mit ihm, sie werten den Kampf Unentschieden. Ein Ergebnis, das beim Publikum für Buh-Rufe sorgt. Sie wollen einen Sieger sehen. Struve selbst bleibt sachlich: „Das war wohl ein Fehlurteil, der andere hat gewonnen.“ Tatsächlich reduziert sich die Fehde auf den Schlagabtausch. Nach dem Gefecht herrscht freundschaftliche Harmonie. Sein Leben außerhalb des Rings bestreitet der zweifache Vater als Informatiker. Dieser Kampf wird wohl sein letzter gewesen sein: „Mit 36 Jahren ist ein Ende durchaus absehbar.“

In der Folge verlieren meist die Hamburger Kämpfer. So auch Mike Ermis, der einen Tritt aufs Ohr bekommt und aufgeben muss. Eine Entscheidung, die seinem Trainer überhaupt nicht passt. „Man muss auch mal hart sein, auch mal mit einem Ohr kämpfen! Dann musst du eben Tischtennis spielen“, pflaumt er seinen Schützling im Ring an. So etwas kann Weltmeister Marco Stünkel nicht passieren. Er dominiert auch diesen, seinen letzten Kampf und gewinnt in der dritten Runde durch technisches K.O.

„Kurz und schmerzlos!“ freut er sich auf dem Weg in die Umkleidekabine, nachdem es ihm gelungen ist, sich einen Weg durch das Heer von Gratulanten zu bahnen. Kurz und schmerzvoll trifft es eher. „Das war immer mein großer Traum, gegen einen Thai zu boxen“, freut sich der Vater einer fünfjährigen Tochter. Noch strömt das Adrenalin durch seinen Körper, als er schmerzfrei eine dicke Schwellung an der Wade begutachtet: „ Der hat getreten wie ein Pferd.“ Er tigert in der geräumigen Kabine hin und her, ist im Kopf noch immer beim Kampf. Die Laune seiner Frau und seiner Trainer ist prächtig. Sie bleibt auch gut, als Stünkel – ohne traurig zu klingen – verkündet, dass dies sein letzter Kampf gewesen sei. Auch heute habe er sein größtes Ziel wieder erreicht, alle Zähne wieder mit nach Hause zu bringen, sagt er nach dem Duschen. Ob er seine Tochter eines Tages im Ring sehen wolle? „Klar, wenn sie es möchte. Im Moment geht sie allerdings zum Ballett“, antwortet er, „das ist auch gut.“