: „Man liebt die Insel und ist Helgoländer“
■ Trotz 100 Jahren Anschluß ans Deutsche Reich: Helgoland nur im Helgoland-Fieber
Helgoland - Heimstatt des sagenumwobenen Atlantis, Geburtsort des Deutschlandliedes, Flugzeugträger im dritten Reich, zollfreier Wallfahrtsort für Butter-, Zigaretten- und ParfumkäuferInnen. Gestern stand der rote Felsen in der Deutschen Bucht im Rampenlicht der Geschichte - der hundertjährige Anschluß ans Reich war zu feiern, und zur Gratulationscour kamen Freund und Feind von einst. Unter ihnen auch Idris Abdul Wakil, Präsident von Tanzania und damit auch Sansibar, jener afrikanischen Gewürzinsel, die im August 1890 im Tausch gegen die einzige deutsche Hochseeinsel den Besitzer wechselte.
Den Helgoländern war solcher Besitzwechsel nicht zum ersten Mal passiert. Für sie gilt, was die 1911 auf der Insel geborene Mina Borchert so formulierte: „Ich bin natürlich erst mal Helgoländer. Wenn man auf dieser Insel lebt, kann man gar nicht anders. Man liebt diese Insel und man ist Helgoländer. Wir haben zwei Evakuierungen, wir haben zwei Mal Zerstörung erlebt, und wir sind immer wieder gekommen. Unsere Vorväter haben Kämpfe geführt, so weit wir über Jahrhunderte zurückdenken können, um auf dieser Insel zu leben. Und da konnten wir nicht fragen, ob die Hanse uns beherrscht oder der Dänenkönig oder der Engländer
oder der Schleswig-Holstein Gottorper. Ich kann es ja ruhig sagen, wir sind Helgoländer und wir fühlen uns natürlich auch als Deutsche, weil wir jetzt unter deutscher Oberhoheit stehen.“
Und so wehen denn auf der Insel trotz Jubiläumsjahr und hohem Besuch vom Festland mehrheitlich nicht die schwarz-rot -goldenen, sondern die Farben Helgolands: Grün is dat Land, rot is de Kant, weiß is der Sand. Wenn rund um den Lummenfelsen die Vogelwelt ihr konzertantes Gekreische anstimmt, hinter der langen Anna, dem zum Wahrzeichen der Insel gewordenen roten Felsen die Sonne glutrot ins Meer sinkt - wenn gleich dane hierhin bitte die
Helgoland-Postkarte
ben Heidschnucken grasen und Kaninchen aus purem Vergnügen Haken schlagen - dann ist Helgoland das idyllische Refugium, das es zur Labsal urlaubsbedürftiger Städter werden ließ. Doch der Blick landeinwärts, übers Oberland gen Süden, offenbart auch die Zeugnisse perfidester Kultur. Vernarbte Landschaft, Krater und von Menschenhand verantwortete Verunstaltung erinnern an den 18. April 1947, als die britische Armee versuchte, die Insel mit 6.000 Tonnen Sprengstoff in die Luft zu jagen.
Vorbei war es nach der Wiederbesiedelung mit dem mondänen Badeort, der Helgoland einst war. Heute kommen zwar mehr Touristen, doch sie überfluten vor allem die zwei, drei Duty -Free-Straßen. Bis zu 5.000 kommen an Spitzentagen zum Kurzeinkauf und kehren nach wenigen Stunden mit den Früchten der Zollfreiheit an Bord der Pidder Lyng oder der Wappen von Hamburg zurück.
Helgoland heute: Das sind auch ganze Schulklassen, die wieder die alte Stammessprache lernen und zum Zeitvertreib sprechen. „Manchmal nachmittags, wenn wir überlegen, was wir machen sollen, dann sagt einer, komm wir reden jetzt helgoländisch und dann machen wir das“, berichtet der zehnjährige Marcel. Besinnung auf eine Tradition, der man zu entfliehen gedenkt. Nach New York möchte der Steppke gerne in den Urlaub fahren, weil er große Städte und hohe Wolkenkratzer so sehr mag.
Helgoland heute - eine Liebesbeziehung, die für die Jüngeren nur mit Distanz zu ertragen ist. So wie Tanja und Anne, die gerade ihr Abitur auf einem Festlandsinternat machen und als reimportierte Saisonkräfte auf der Insel arbeiten, geht es vielen ihrer Altersgenossen: „Ich kann von mir wirklich sagen, daß ich diese Insel liebe. Ich komm fürs Wochenende her, ich komm in den Ferien her, wenn ich kann. Aber so kleine Dosen reichen dann auch.“
Andreas Hoetzel
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