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Archiv-Artikel

„Man kann nicht beides haben“

Hartwig Schmidt, Professor für Denkmalpflege an der Technischen Hochschule Aachen und Sprecher der Monitoring-Gruppe von Icomos Deutschland erklärt, warum Goslars Altstadt keine Shopping-Mall verträgt – solange sie den Titel Welterbe führen will

Interview: Benno Schirrmeister

Goslar – entdecken sie ein Weltkulturerbe: Mit diesem Slogan versucht die Kaiserstadt im strukturschwachen Südniedersachsen Touristen anzulocken. Umso wütender die Reaktionen der Notablen auf den Bericht von Icomos-Deutschland: Die Denkmalschutz-Organisation, die für die Unesco den Zustand der deutschen Welterbestätten kontrolliert, hat Pläne der Kaiser-Stadt kritisiert, eine Shopping-Mall im historischen Zentrum zu genehmigen. Die Pläne für die so genannte Kaisergalerie zirkulieren derzeit in den lokalpolitischen Gremien als Verschlusssache, Oberbürgermeister Otmar Hesse und sein Investor argwöhnen, Icomos verfolge vermutlich selbst wirtschaftliche Interessen und ärgern sich über die anonymen Kontrollen. Hartwig Schmidt, Professor für Denkmalpflege an der TH Aachen und Sprecher der Monitoring-Gruppe sorgt für Aufklärung.

taz: Icomos ist wegen des Monitoring-Berichts in Goslar ein Reizwort. Wie entstehen die Rapporte – und weshalb werden die Autoren nicht genannt?

Hartwig Schmidt: Er ist genannt – der Autor der Berichte ist die Monitoring-Gruppe des Deutschen Nationalkomitees von Icomos. In deren diesjährigem Bericht über die Gefährdung des Weltkulturerbes ist auch der über Goslar veröffentlicht worden. Icomos ist politisch unabhängig, also keine staatliche Organisation wie die Denkmalpflege, und kann deshalb etwas deutlicher auf Missstände hinweisen.

Wie ist das organisiert?

Die Mitglieder der Monitoring-Gruppe sind Fachleute aus der Denkmalpflege, die Arbeit ist ehrenamtlich. Jedes Jahr besucht sie eine der Welterbestätten in Deutschland und schaut sie genau an. Aber es ist nicht möglich, mit der gesamten Gruppe alle 30 zu besuchen. Also verfasst für die übrigen Stätten je ein Mitglied einen Bericht. Dieser Kontaktmann muss aber nicht unbedingt zum Bürgermeister gehen.

Warum?

Das tun wir nur bei der ‚großen‘ Beurteilung. Wir maßen uns nicht an, die Aufgabe der behördlichen Denkmalpfleger zu übernehmen, sondern weisen auf Fehlentwicklungen hin. Eigentlich betrachten wir das als eine Hilfe für die Verantwortlichen. Denn das, was wir in Goslar kritisiert haben, hätte ja auch der zuständigen Denkmalschutzbehörde auffallen müssen.

Was steht denn auf dem Spiel?

Die Idee des Welterbes. Das Label hat die Unesco unter dem Eindruck der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs geschaffen, die ja unterschiedslos auch kulturhistorisch wichtige Stätten betroffen hat. Damals ist man davon ausgegangen, dass es Denkmale gibt, die nicht nur für die einzelne Stadt oder das Land Bedeutung haben, sondern für die ganze Welt. Für diese Stätten sind die Verantwortlichen die Verpflichtung eingegangen, sie dem hohen Anspruch entsprechend zu erhalten. Allerdings hat sich das Label ein wenig wie die Kochmützen beim Gault-Millaud entwickelt: Der Tourismus fokussiert auf die Kochmützen und die Übernutzung bringt oft Schwierigkeiten mit sich.

Und die Notwendigkeit von Kontrollen?

Auch dieses. Anfangs gab es keine Kontrollen – in den meisten Ländern gibt es sie bis heute nicht – außer bei der Anmeldung für die Liste. Deshalb hat Icomos Deutschland eine Monitoring-Gruppe gebildet, die in den Richtlinien der Unesco für die Welterbestätten vorgesehen ist. Mit unseren Hinweisen möchten wir den Orten helfen, die an das Welterbe gestellten Anforderungen zu erfüllen.

Nun hat Goslar aber auch ein begründetes Interesse an Entwicklung …

Wir sind selbstverständlich nicht gegen Entwicklung. Aber schauen Sie, eine mittelalterliche Stadtanlage ist von kleinen Grundstückszuschnitten geprägt, und die Straßen sind eng, zu eng in der Regel für die Anlieferung mit großen Lastwagen. Was jetzt in Goslar geplant wird, ist die Erweiterung einer bereits bestehenden Passage. Dafür sollen fünf Baudenkmale abgerissen und eine der ältesten mittelalterlichen Gassen eliminiert werden – ein überaus zerstörerischer Eingriff. Die notwendigen Parkplätze sollen aufs Dach kommen; wer dann auf die Stadt blickt, sieht parkende Autos. Anstatt den privaten Investor bereits frühzeitig darauf hinzuweisen, dass für das Welterbe andere Richtlinien gelten, versucht die Stadt, die unangemessene Größe durchzusetzen.

Jetzt wollen Bürgermeister und Investor das Einkaufszentrum im Schulterschluss mit der Unesco planen. Ist solch ein Projekt in Goslar überhaupt realisierbar, ohne die Richtlinien zu verletzen?

Nein, das ist aus meiner Sicht kaum möglich. Ein solcher Riesenbrocken passt einfach nicht zur mittelalterlichen Stadtanlage: Man kann nur eins haben – Kaufhauszentrum oder Altstadt.

Also doch: Keine Innenstadtentwicklung möglich?

Aber nein. Es ist ja nicht so, dass dort ein einzelnes Kaufhaus entstünde: So eine Anlage wird ja heute nach dem Shop-in-Shop-Prinzip bewirtschaftet. Und da frage ich mich schon, warum versucht man nicht die Läden, die man in diesem Neubau ansiedeln will, in den historischen Wohnhäusern unterzubringen? Das wäre doch die Lösung. Dafür wäre die Altstadt wunderbar geeignet, das würde sie attraktiver machen und man würde darüber hinaus noch die fünf Baudenkmale retten, die abgebrochen werden sollen.

Ein anderer Punkt der Goslar-Kritik betraf das historische Bergwerk Rammelsberg – dem die fachliche Leitung fehlt. Das ließe sich schnell beheben …

Das sehe ich auch so. In dieser Frage spielt sich leider vieles auf einer persönlichen Ebene ab.

Wäre es denn denkbar, die Altstadt von der Welterbe-Liste zu streichen und den Eintrag aufs Bergwerk zu beschränken?

Nein. Das Bergwerk und die Altstadt gehörten schon immer zusammen. Aber für Goslar ist diese Drohung natürlich problematischer als für eine Stadt wie Köln. Die braucht das Label nicht so dringend. Goslar ist in ganz anderem Maße auf den Fremdenverkehr angewiesen.