„Man hat uns den Tod gewünscht“

Sonja: „Letzten Sommer sind wir Hand in Hand durch den Wedding gelaufen, als uns eine mittelalte Frau begegnete. Sie hat uns völlig fassungslos angeschaut und ist mehrmals stehen geblieben, um sich nach uns umzuschauen, als wäre es das Letzte, womit sie gerechnet hätte, dass zwei Frauen zusammen sind.“

Karo: „Einen Tag später waren wir in Rahnsdorf unterwegs, das ist in Köpenick. Wir sind Arm in Arm auf einem Waldweg gelaufen, als uns eine ältere Frau entgegenkam. Sie war im Rentenalter. Sie hat uns im Vorbeigehen angeschrien: Wenn das Feuer ausbricht, dann wird es mir um euch nicht leidtun, und lauter solche Sachen.“

Sonja: „Auch mit einer bestimmten Aggression. Wenn das passiert, dann seid ihr tot.“

Karo: „Wir sind dann weitergegangen. Uns wurde erst im Laufe des Tages klar, dass man uns den Tod gewünscht hat. Das hat die nächsten Tage meinen Blick verändert. Bei jeder Person, die mich angeguckt hat, habe ich mich unwohl gefühlt. Ich habe mich ständig gefragt, ob das wieder passiert. Wir haben das nicht ­angezeigt. Das ging zu schnell. Ich denke, wenn man die Täter:innen kennt oder die Situation länger dauert, ist es leichter, jemanden anzuzeigen, als bei alltäglichen queerfeindlichen Situationen. Bei der Frau in Rahnsdorf hätte man schneller reagieren können. Weil es sich um eine ältere Frau handelte, von der keine ­körperliche Gewalt zu erwarten war, hätte ich sie vielleicht direkt auf ihre Aussage ­ansprechen sollen. Um zu zeigen, dass ihre Worte etwas auslösen und sie nicht einfach etwas vor sich hinsagen kann, was in der Art und Weise verletzend ist. Im Nachhinein denkt man immer: Man hätte doch was machen können.“

Sonja: „Wir sind Teil eines queeren Kollektivs, Nippleliberationarmy, in dem wir uns über solche Situationen austauschen können. Uns hilft auch das Gespräch mit queeren Freund:innen. Sie haben sich nach der Situation in Rahnsdorf mit uns aufgeregt. Wir sehen dann: Unsere Wut ist gerechtfertigt.“

Protokoll: Nicole Opitz

Sonja (23) ist Studentin, Karo (33) Lehrerin an ­einer Gemeinschaftsschule. Sie sind ein Paar und Teil des Kollektivs Nipple­liberation­army