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Mainzer ins Museum?

■ Acht Besprechungen in der »2. Mainzer Kunstausstellung« mit Fotos vom Leben der vorläufig letzten Berliner Besetzer...

Der Neolinksintellektuelle: »Die Ausstellung zeigt typische Zeugnisse einer anachronistischen metropolen Jugendkultur. Ihre Protagonisten sind schlapp und verweichlicht nach Jahren voll gebetsmühlenartiger, antiautoritärer, nachkriegsdeutscher Friedenserziehung. Die Enkel der Nazis haben sich in Berlins Ruinen geflüchtet, um dort im ausgemusterten Wohlstandsmobiliar ihrer belasteten Eltern eine utopistisch-blumige Idylle auszuleben. Gerade vor dem Hintergrund deutscher Raketenexporte in den Irak wecken die Bilder von Klampfe spielenden deutschen Besetzern mit Palästinensertüchern makabre Assoziationen an die anima teutonica. Schon von daher müssen die Bilder der gewaltsamen Räumung beim Betrachter Zustimmung auslösen: »Wenn wehrhaft für eine zivile Weltordnung gehobelt wird, müssen Späne fallen.« Und: »Auf frischer Tat ertappten Feiglingen und Verrätern steht es nicht zu, auch noch das Maul aufzureißen.« (konkret 3/91).

Der Sozialpädagoge: »Große Betroffenheit stellt sich ein. Die gezeigten Fotos illustrieren auf erschreckende Art und Weise zum wiederholten Mal den Umgang des Staates mit seiner aufbegehrenden Jugend. Bilder von badenden, musizierenden, diskutierenden Besetzern verdeutlichen die gesellschaftspolitische Wichtigkeit des Experiments in der Mainzer Straße. Die Dokumente des martialischen Polizeieinsatzes im zweiten Teil der Ausstellung belegen die Unfähigkeit des Staates zum Dialog der Generationen.«

Der Feuilletonist: »Nichts Neues. Nach '81 kann man keine Besetzer-WG-Küchentisch-Stilleben mit Kaffeetassen, Halfzwaare-Tabak und klebrigen Marmeladegläsern mehr fotografieren. Auch Fotos von Polizeigroßeinsätzen, Prügelorgien und Graffities sind in Berlin, künstlerisch-ästhetisch betrachtet, bereits seit Lummer mega-out. Den Mainzern ist es nicht gelungen, eine neue Kultur zu entwickeln.«

Der Kultur-Pessimist: »Die konventionell gestalteten Fotos von einzelnen Besetzern in ihren Zimmern, umgeben von Hifi-Anlagen, TVs und ordentlichen Bücherstapeln lassen das Ende des Experiments ohnehin ahnen, das Momper, Pätzold und Co. auf gewohnt dümmliche Weise dann aus Wahlkalkül vorwegnahmen. Wie schon '68 und '81. Der Weg führt immer ins Verlagsgeschäft, Designstudio, Off-Theater, in den Bioladen, zur AL, ‘taz‚, zum ‘Spiegel‚ und zur ‘Zeit‚. Oder wahlweise auf die U-Bahn-Treppe zum Groschenschnorren.«

Der Romantiker: »Auf den ausgekotzten Trümmern der Wohlstandsgesellschaft, zwischen ausgehölten Glotzen, flüchtig hingeworfenen Matratzen und frei ausgelebter Kunst haben die MainzerInnen versucht, der kalten, toten Wohlstandsmonotonie eines Erste-Welt-Staates die Stirn zu bieten — und dies, bis die Polizeipanzer anrollten und die Straße in eine Kraterlandschaft verwandelten. Ein düsteres Kapitel in der Geschichte des deutschen Widerstands dieses Jahrhunderts.«

Der Tempelhof-Zehlendorfer: »Fotos voll von unsäglichem Schmuddel in einem SED-vorbelasteten, staatlich subventionierten Klub werden als Kunst ausgegeben. Eine Verherrlichung jugendlicher Chaoten, Gewalt- und Straftäter auf Kosten des Steuerzahlers, die nicht zuletzt dem rot-grünen Experiment zu verdanken ist. Besonders die einseitige Darstellung von Polizeibeamten im rechtsstaatlichen Einsatz schadet Berlin, das sich doch derzeit um die Hauptstadt- und Olympiarolle bewirbt.«

Der Alt-Kreuzberger: »Der Häuserkampf von '81 wurde noch gegen Spekulanten, Abriß und für Stadtteilerneuerung und Mieterrechte geführt. Die Bilder von '90 dagegen zeigen HausbesetzerInnen ohne Verankerung in der arbeitenden Basis im Kiez, die, ohne Dielen abzuschleifen oder Schwämme trockenzulegen, einfach die Matratzen in die Ecken werfen...«

Der Sozialdemokrat: »Die Fotos von hohem ästhetischen Wert erzählen die Geschichte eines Häufchens Wohlstandskinder, das die weit ausgestreckte Hand eines Reformsenates rüde ablehnte, sich an den Schlangen der Wohnungssuchenden vorbeischleichen wollte und deshalb behutsam, unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit den gebotenen Mitteln des Rechtsstaates korrigiert werden mußte.« Thomas Kuppinger

Die Ausstellung, im Klub International über dem gleichnamigen Kino, Karl-Marx-Allee/Ecke Berolinastraße ist noch bis zum 2.4. jeweils mittwochs, donnerstags und sonntags von 18.30 bis 23 Uhr, dienstags ab 14 Uhr zu besichtigen.

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