Mainzer Infusionsskandal: Laxe Hygiene, tausende Tote
Nach den Todesfällen in Mainz wegen mangelnder Hygiene im Krankenhaus suchen Politiker nach einer bundesweiten Regelung. Viele Infektionen wären leicht vermeidbar.
BERLIN taz | Nach dem Tod von drei Frühchen in der Uniklinik Mainz setzt jetzt eine Debatte um Hygiene in deutschen Krankenhäusern ein. "Momentan macht jedes Klinikum, was es für richtig hält. Wir brauchen dringend eine bundesweite Regelung", forderte Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), gegenüber der taz.
Die Dimension des Problems ist auch der Politik längst bekannt, Anfang vergangenen Jahres brachte die Fraktion der Linken beispielsweise im Bundestag einen Antrag für strengere Regeln bei der Krankenhaushygiene ein. Demnach erleidet hierzulande etwa jeder 20. bis 30. Patient im Krankenhaus eine Infektion: "Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes geht bei 16,9 Millionen (2006) Patienten von 500.000 bis 800.000 Infektionen jährlich aus, und etwa 20.000 bis 40.000 Patienten sterben daran", heißt es in dem Antrag. Damit sei die im Krankenhaus zugezogene Infektion die mit Abstand häufigste Form ernsthafter Infektionskrankheiten in Deutschland. Hunderttausende Fälle seien vermeidbar. Die möglichen Einsparungen hätten ein Volumen von 1,5 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr.
Momentan gibt es ein bundesweites Infektionsschutzgesetz mit Vorschriften, wie übertragbare Krankheiten vermieden und bekämpft werden können. Darin ist zwar die Kommission für Krankenhaushygiene gesetzlich verankert, sie kann aber keine Vorschriften erlassen, sondern nur Empfehlungen geben.
Dass dies nicht immer zieht, beschrieb Walter Popp von der DGKH im Deutschlandfunk: "Wenn der Chefarzt dumme Witzchen macht, wenn der Assistenzarzt das erste Mal die Hände desinfiziert, dann hören alle damit auf", sagte er. Solche Aussagen sind explizit nicht auf die Fälle im Universitätsklinikum Mainz bezogen. "Es handelt sich in Mainz um menschliches Versagen", sagte DGKH-Sprecher Zastrow der taz. "Es handelt sich dabei um eine Verschmutzung aus dem Toilettenbereich", so Zastrow. Die Ursache ist also vermutlich beim Personal der Klinik zu suchen. Darauf deutet auch das Verhalten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte hin: Hätte es Verunreinigungen bei den Lieferanten von Schläuchen und Zutaten für die verseuchten Nährlösungen gegeben, müsste das Institut sofort europaweit Alarm schlagen, was bisher nicht geschah.
Vor dem Hintergrund beruhigt Zastrow auch besorgte Eltern: Zwar könne derartiges menschliches Versagen überall vorkommen, es handele sich aber um einen Sonderfall des Klinikums. Es genoss bisher einen guten Ruf: "Im Juni gab es eine Begehung durch Landesbeamte, der Apotheke der Klinik wurde dabei eine hohe Qualität bescheinigt", sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums in Rheinland-Pfalz.
Dennoch wird der Fall Mainz zum Ausgangspunkt einer überfälligen Debatte. Es sei ein großes "Theater um die Schweinegrippe" gemacht worden, aber dass etwa 100 Menschen pro Tag an Krankenhausinfektionen stürben, da "kümmert sich kein Mensch drum", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Martina Bunge, der taz. Ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) teilte mit: "Der Minister ist tief betroffen, dass ausgerechnet Präparate, die eigentlich dazu da sind, Menschen zu helfen, Leiden zu lindern und sie gesund zu machen, wahrscheinlich zu den tragischen Fällen geführt haben." Da die Krankenhaushygiene Sache der Bundesländer sei, wolle das Ministerium bei der nächsten Gesundheitsministerkonferenz zusätzliche Regelungen erörtern.
Umstritten ist jedoch, ob es dazu bundeseinheitlicher Regeln oder Gesetze bedarf. Die FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Ulrike Flach, kündigte an, ihre Fraktion werde noch im September die Initiative für eine bundesweite Regelung ergreifen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, erklärte, die Union wolle gemeinsam mit der FDP eine bundeseinheitliche Lösung auf den Weg bringen. Dies sei verfassungskonform zu machen.
Harald Terpe (Grüne) forderte einen "Nationalen Aktionsplan Krankenhaushygiene". In ihm müssten koordinierte Maßnahmen von Bund und Ländern vereinbart werden. Dazu gehöre etwa die Verpflichtung der Krankenhäuser, hauptamtliche Hygienebeauftragte einzuführen. Der Gesundheitsexperte regte auch einen "Runden Tisch Krankenhaushygiene" an. Der taz sagte er, es gebe gerade beim Vollzug der bestehenden Hygienevorschriften "starke Defizite". Bislang steht es jedem Bundesland offen, ob es Hygieneverordnungen für Krankenhäuser erlässt. Dies haben bis jetzt nur Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen getan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag