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Mail aus GriechenlandDie Enttäuschung ist greifbar

Nach den Wahlen unterwegs in Athen: Aufmunternde Sprüche für deutsche Politaktivisten, Sekt für die Anhänger der linken Syriza und junge Griechen aus dem Ausland.

Die Genealogie der parlamentarischen Demokratie seit 1974 in Form einer Wandmalerei aus Exarchia. Bild: Schwabinggrad Ballett

ATHEN taz | In Smokings und Abendkleidern brechen wir auf Richtung Syriza-Parteizentrale, an den feinen Klamotten stecken pinke Schärpen mit Slogans: „Corrupt elites! Judgement day is about to come“, „Vote one Samaras, get a Merkel for free“ und „Deutschland, halt’s Maul“ auf Griechisch.

Wie eine absurd overdresste Partycrowd paradieren wir durch leere Straßen, vorbei an Polizeieinheiten. Die von den Medien beschworene Erleichterung über den angeblichen Sieg der Vernunft bildet sich im Stadtbild nicht ab. Diese Wahl kennt keine triumphalen Sieger. Bei Nea Dimokratia, so hören wir, langweilt sich der Pressepulk mit zerknirschten Politikern, die sich aus gutem Grund vor dem Regieren fürchten. Als wir auf den Platz vor der Syriza-Zentrale kommen, richten sich die Augen der Weltpresse auf uns.

Eine Cannes-Situation, wir agieren unbeholfen im Blitzlichtgewitter. Die Journalisten stürzen sich auf uns. Einige von uns nehmen Voguing-Posen ein und präsentieren die Slogans. „Hier ist das Mikrofon“, sagt ein Journalist und zeigt auf die Tribüne mit aufgetürmten Kameras – „richte deine Message an das griechische Volk!“ Wir sind das Ereignis – aber eines, das wir selbst gar nicht klar definiert haben.

Wir improvisieren: „Es gibt keine europäische Bewegungspartei, die eine solche Popularität erreichen konnte. Das Wahlergebnis ist ein riesiger Erfolg für ein Europa von unten!“ Einige von uns versuchen den Spieß umzudrehen: „Ihr müsstet ja glücklich sein. Eure Propaganda hat hier gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!“

Im Taxi zur Syriza-Party

Der Reporter des Privatsenders Mega Channel, der knallhart für die Austeritätspolitik getrommelt hat, ist peinlich berührt – er hat Syriza gewählt. Die Enttäuschung ist greifbar, die Leute hier hatten ihre Hoffnung auf einen Wahlsieg der Syriza gesetzt. Wir schenken Sekt aus, mit aufmunternder Geste.

Im Taxi zur Syriza-Party auf dem Platz vor der Universität hören wir Tsipras’ Rede. Auch dort herrscht nicht gerade Feierstimmung, aber die überwiegend jungen Leute aus dem eher aktivistischen Backround bewerten das Wahlergebnis positiver.

Über 33 Prozent der unter 35-Jährigen haben Syriza gewählt. Nea Dimokratia hat bei den Älteren Stimmen geholt. Wir werden auf unsere Abendgarderobe und die Slogans angesprochen und fotografiert. Man klopft uns auf die Schulter, einige sind bewegt. Anders als an der Parteizentrale scheint man hier unsere Sprache sofort zu verstehen. Wir führen viele Gespräche, unter anderem mit jungen Griechinnen und Griechen, die extra für die Wahl aus dem Ausland angereist sind.

Einige sind bewegt

Wir treffen auf Kostas Douzinas, politischer Philosoph und Freund von Zizek, den wir seit Tagen zu erreichen versuchten, um seine Einschätzung zu erfahren. Ein Passant spricht ihn an: „Scheiße gelaufen!?“ Er antwortet strahlend: „Wir haben einen großen Sieg errungen – was in noch keinem anderen europäischen Land gelungen ist. Die Einschüchterung, die stattgefunden hat, war unglaublich, aber das griechische Volk hat dem standgehalten. Griechenland hat sich heute – ebenso wie das restliche Europa – verändert!“

Den Wählerinnenwillen zu interpretieren – das ist nicht unser Ding. Wie kommen wir da raus? Es gibt einen fetten Schwenk nach links, wir hätten die Genugtuung genossen, dass eine radikale Partei der Memorandumspolitik mit einem Wahlsieg einen vor den Bug gibt, aber: An der fragilen Gesamtsituation, der Instabilität, der Unregierbarkeit hätte sich auch damit nichts geändert. Keiner kann sich beruhigen. Die Empörten, die Real-Democracy-Bewegung haben zwei Jahre Platzbesetzungen und Tränengas hinter sich – ohne all das wäre der Syriza-Erfolg nicht möglich gewesen.

Wer hier aber gegenwärtig eskaliert, sind nicht die vielen linken Parteien, die von Revolution und Aufstand reden, sondern die Schlägertrupps der Nazipartei Chrysi Avgi. In Piräus haben die Nazis das Wahlkampfzentrum der Syriza plattgemacht. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die emanzipatorischen, linken Kräfte und sozialen Bewegungen sich wieder auf den Plätzen treffen.

Katrin Bahrs,Ted Gaier, Charalambos Ganotis, Irene Hatzidimou, Sylvi Kretzschmar, Christine Schulz, Margarita Tsomou und Christoph Twickel sind das aktivistisch-künstlerische Schwabinggrad Ballett. Das Kollektiv berichtet zwei Wochen lang für die taz aus Athen, das nächste Mal am Montag.

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5 Kommentare

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  • AM
    Adolf Märklin

    Die Katalipsi-Bewegung und die Streiks haben überhaupt nichts mit Syriza zu tun, ihre Wähler kommen von Pasok. 37,75% haben nicht gewählt, zusätzlich dazu noch ungültige Stimmen zwischen 11 und 15%. Also wer hält hier die Mehrheiten? Ihr werdet es im Herbst sehen, denn der brutale Ausländerhasser Samaras ist gut für die Revolution, weil Gewalt ehrlich ist.

    Syriza ist so toll radikal, trotzdem nicht verboten, kam nicht in Konflikt mit den 2009 verschärften Parteiengesetz und ignorierte brav wie alle Parteien, daß die von Papandreou versprochene Abschaffung der neuen Vermummungsgesetze (bis zu 10 Jahre Aufschlag) seit Oktober 2009 einfach vergessen wurde.

    Sie ist nichts anderes wie Pasok vor 30 Jahren und ihr potentieller Koalitionspartner ist jetzt mit ND und Basok zusammen an der Macht, inklusive dreier faschistischer Abgeordneten der LAOS, die zu ND wechselten.

    Kein Wort über die über 50% der Athener Bullen, die Xrysi Avgi wählen, kein Wort über abgestochene Pakistanis, u.a. bei nächtlichen Jagden in der U-Bahn, kein Wort über die täglichen Pogrome und Überfälle auf Wohnungen von Migranten in Pirea durch X.A.- Mopedgangs, kein Wort über mind. 60 faschistische Attacken nur gegen die pakistanische Gemeinschaft in einem Monat, kein Wort über Menschenjagden gegen ausländische Erntehelfer in den Orangengärten. Warum? Weil es nicht in Zeitungen steht? Nein, weil beim Rassismus alle Rassisten zusammen halten und das sind offensichtlich alle Politiker und alle Journalisten, die sich dafür verantworten werden müssen, auch, wenn es 50 Jahre dauert.

    Die Blogs Keep Talking Greece, Contrainfo, Occupied London und Griechenlandblog berichten täglich darüber. Ihr Pulitzers braucht nur abzuschreiben.

  • JO
    James O'Stolz

    Die Krise enthüllt, wieviel wir in unseren ganz normalen Zusammenhängen nicht nur auf Solidarität angewiesen sind - sondern wieviel wir bisher von ihr verwirklicht haben. In den Bezugsgruppen, in denen wir uns aufhalten. Alle alternativen wirtschaftlichen Modelle müssen weiterentwickelt werden, während die Realwirtschaft unter dem Druck des Kasinos weltweit kollabiert.

     

    Ich finde, eine rein politische Sicht auf die Krise bringt nicht viel. Ist es nicht gerecht, dass die Politiker, die sich und ihre Beamten jahrelang versorgt haben, jetzt unter dem Auge der Öffentlichkeit die Dinge geradebiegen müssen (und vermutlich daran scheitern)?

     

    Die Idee von Syriza, Druck ausüben zu müssen, war absolut richtig, aber die Idee, langfristig im Euro bleiben zu können, ein Märchen, das kein halbwegs informierter Mensch Syriza bei den katastrophalen Verhältnissen im Land abnehmen konnte.

    Wobei das Verständnis, dass der Euro die südlichen Kolonien des Kapitals belohnt, immer schon falsch war. Unter dem Vorwand der Einigung hat diese verdammte Währung ein Europa der drei Geschwindigkeiten geschaffen, wie eine Käseglocke, der die unterschiedlichen Aromen eines vielfältigen Europas erstickt hat. Wobei eine gemeinsame Währung zwischen ähnlichen Ökonomien durchaus funktionieren kann.

     

    Ihr wisst ja, dass Solidarität ganz unten anfängt - und nie von nicht öffentlichen oder undemokratischen Organisationen wie den Banken, der Kommission oder dem IMF kommt.

     

    Der Auftrag von Martin Schulz u.anderen ist Verzögerung des Zusammenbruchs u. Stabilisierung - unser Auftrag ist Veränderung.

    Man muss das nicht unbedingt als Gegensatz begreifen, wenn man bedenkt, wohin die letzte Große Depression geführt hat.

  • A
    aurorua

    Tolle Demokratie, sollte man in der BRD auch einführen. Die stärkste Partei bekommt erst einmal 50 Sitze extra, dann werden wir unser FDJ-Mädchen für Agitation und Propaganda bis zu ihrem Ableben nicht mehr los. Es herrschen ja jetzt schon Zustände wie in der Volskkammer, die asozialen, neoliberalen SPD/GRÜNEN nicken ja jede Schamlosigkeit zu Gunsten der Märkte, Banken und Versicherungen mit ab. Immer weiter so, noch mehr Leihsklaven, noch mehr Aufstocker, noch mehr ALG II Hungerleider, noch mehr Armutsrentner und vor allem noch mehr Reiche und Superreiche Weltzerstörer.

    SO GEHT vom Kapital gesteuerte DEMOKRATIE!

  • TS
    Thomas Sch.

    Ja, so ist der Wähler. In seltener Dämlichkeit wählt er die, die die Kacke produziert haben, einfach mal eben wieder. Wir haben Vorschriften , wer Autofahren darf, wer Gasleitungen reparieren darf und wer einen Dampfer befehligen soll und wer nicht. Wählen darf aber jeder. Vieleicht sollte man mal diskutieren, ob das irgenwie zu verbessern ist.

  • G
    Gabriel

    Wieso enttäuschend? Griechenland hat sich zu hoch verschuldet. Jetzt wird gejammert.