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Mahnungen an die Weltöffentlichkeit

Gestern wurde das Friedensgutachten 1997 von drei bundesdeutschen Friedensinstituten vorgestellt. Forscher plädieren gegen die Wehrpflicht und ein stärkeres Engagement in Bosnien  ■ Von Annette Kanis

Berlin (taz) – Flüchtlingsströme ziehen via Tagesschau durch deutsche Wohnzimmer. Die Bilder erschöpfter, abgemagerter Menschen in bunten Stofffetzen bestimmen seit Jahren die Berichterstattung vom afrikanischen Kontinent. Besonders die prekäre Situation in Zentralafrika rund um die Staaten Ruanda und Zaire (mittlerweile: Demokratische Republik Kongo) hat die Herausgeber des diesjährigen Friedensgutachtens veranlaßt, einen inhaltlichen Schwerpunkt Afrika zu widmen.

Der 400 Seiten starke Sammelband wurde gestern in Berlin vorgestellt. Als Herausgeber zeichnen drei der renommiertesten Friedensinstitute der Bundesrepublik, die „Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“ (HSFK), das „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ an der Universität Hamburg sowie die „Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft“ (Fest) in Heidelberg.

Das Hauptthema selbst wird auf knapp 50 Seiten abgehandelt. Es skizziert Ursachen und Hindergründe der afrikanischen Krisenherde, wirft Fragen auf und spricht politische Empfehlungen aus. „Hier entstehen neue Bedrohungen des Friedens und der internationalen Sicherheit, die von der Weltöffentlichkeit bisher nicht wahrgenommen werden“, betonte Friedhelm Solms von der „Fest“.

Trotzdem will die Ernsthaftigkeit der gedanklichen Bemühungen um den afrikanischen Kontinent nicht so recht deutlich werden. Denn das Thema konkurriert in dem Sammelband mit zahlreichen anderen Themen, die auch auf der Pressekonferenz in den Mittelpunkt rückten. So die Debatte um die Stellung und die Definition der Nato zwischen Verteidigungsbündniss und kollektivem Sicherheitssystem. Diese wird unter den Instituten selbst kontrovers diskutiert. Die Nato als eine „Pluralistische Sicherheitsgemeinschaft“ mit neuen Partnern durch Osterweiterung oder als ein „hegemoniales Machtkartell“, das sich außermilitärische Funktionen aneignet, für die sie unzureichend legitimiert ist.

Angesichts der angestrebten Nato-Osterweiterung müsse die Bundeswehr dringend verkleinert werden. Die Friedensforscher fordern eine Abschaffung der Wehrpflicht: „Ihre Beibehaltung ist militärisch überflüssig, verfassungsrechtlich bedenklich und volkswirtschaftlich zu teuer“, heißt es in der offiziellen Stellungnahme. Eine Berufsarmee mit 200.000 statt derzeit 340.000 Soldaten würde mindestens zehn Milliarden Mark pro Jahr an Kosten sparen.

Die Situation in Bosnien-Herzegowina wird auch in dem diesjährigen elften Friedensgutachten untersucht. Nach Ansicht der Forscher sollte die Nato-Friedenstruppe länger als geplant in Bosnien-Herzegowina bleiben. „Bei der derzeitigen Unversöhnlichkeit der Kriegsgegner im ehemaligen Jugoslawien muß über ein Konzept nachgedacht werden, das über das Dayton-Abkommen hinausgeht“, sagte Bruno Schoch, Projektleiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Er forderte einen politischen Plan zur Vermischung der Volksgruppen; möglich sei dabei auch eine anzustrebende Zweistaatlichkeit.

Im Bereich der Rüstungskontrolle, einem ständigen Thema des Friedensgutachtens, sehen die Experten Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. So seien auf dem Weg zur Vernichtung der chemischen Waffen sowie bei der nuklearen Abrüstung Fortschritte erzielt worden. Die Geste des russischen Präsidenten Boris Jelzin, die Atomwaffen seines Landes zu deprogrammieren, wertete Schoch als positiv: „Ich würde dieses politische Signal viel höher hängen und nicht als Propaganda und Showeffekt abwerten.“

Die Entwicklung im Nahen Osten sehen die Friedensforscher mit Sorge. Die USA und die Europäische Union müßten viel mehr darauf drängen, daß der Friedensprozeß vorangetrieben werde. „Die aktuelle Situation sehen wir sehr schwarz, möglicherweise läuft sie auf einen Krieg hinaus“, so Schoch auch im Namen seiner Kollegen.

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