: Mahnmale gegen das Vergessen
Zehn Denkmäler markieren in Bayern Wegstrecke der KZ-Todesmärsche von 1945 / In Fürstenfeldbruck bei München sorgt geplantes Mahnmal für Empörung in der Bevölkerung ■ Aus Eichenau Barbara Thierfelder
„Was fällt Ihnen ein, für ein Denkmal Geld zu sammeln, wo die Musikschule das Geld so gut brauchen könnte! Und das waren doch hauptsächlich Juden. Ausgerechnet. Wo die sich jetzt schon wieder so aufmanndeln!“ Lauthals wird eine Initiatorin des Aktionskreises „KZ-Häftlingsmarsch-Denkmal in Fürstenfeldbruck“ auf offener Straße von einer Frau beschimpft. Die Frau gehört zu den „guten Kreisen“ des Münchner Gartenvororts. Alsbald kommt eine zweite Dame dazu und sekundiert ihr: „Ich denk genau wie Sie. Mir san viele, die so denken.“ Die Szene wirkt wie einstudiert. Nur die Beschimpfte kann ihren Text nicht.
In den letzten Apriltagen des Jahres 1945 wurden das Konzentrationslager Dachau und seine zahlreichen Außenlager geräumt. Zeugen des Vernichtungsterrors sollten den Siegern nicht lebend in die Hände fallen. So wurden aus Dachau rund 10.000 noch gehfähige KZ-Häftlinge, ausgehungert, krank, entkräftet, notdürftigst bedeckt, in Holzschuhen in Richtung Süden getrieben. Über Allach, Pasing, Gräfelfing, über Starnberg, Wolfratshausen, Bad Tölz sollte der „Todesmarsch“ bis Innsbruck gehen. Dort war entweder die sofortige Vernichtung oder der Arbeitseinsatz an Hitlers letzter Bastion, der „Alpenfestung“, geplant.
Fünf Tage zuvor, am 24.4. 1945, wurden die elf Außenlager in Landsberg-Kaufering „aufgelöst“. 14.000 zumeist jüdische Männer und Frauen aus dem Konzentrationslager Auschwitz waren dort am Kriegsende noch registriert. Sie mußten die inzwischen rar gewordenen „Ostarbeiter“ ersetzen. Die „Organisation Todt“ benutzte sie, um unterirdische Rüstungsbetriebe zur Herstellung von Jagdfliegern und Fernflugkörpern zu bauen. Und das unter Arbeitsbedingungen, die mörderisch waren, ständig bedroht von Hungertod und Seuchen. Nur wenige Monate konnte man die Todgeweihten ausbeuten. Die Nachschubauswahl besorgte die SS an der berüchtigten „Rampe“. Für 1945 war die Fertigstellung vorgesehen. Viele bayerische Baufirmen, die das sogenannte „Unternehmen Ringeltaube“ durchgeführt haben, sind auch heute noch angesehene Großunternehmen.
Sie werden zunehmend weniger, aber es gibt sie noch, die Überlebenden und Augenzeugen. Sie berichten von dem Klappergeräusch der Holzpantinen, vom Niederstürzen und Abknallen der Entkräfteten, die den Straßenrand säumten, den Schlägen und Tritten der SS-Schergen, den Hunden, die auf Menschen dressiert waren, den Verzweiflungsschreien der Sterbenden. Sie berichten, daß die Häftlinge den Nachtlagerplatz in Fürstenfeldbruck buchstäblich kahlgegrast haben, daß sie mit den Zähnen auf dem Bauch liegend von einem Pferdekadaver Stücke zu reißen versuchten.
Viele Tausende nicht mehr „marschfähiger“ Häftlinge sind in offene Viehwagen gepfercht und abtransportiert worden. Die fuhren tagelang hin und her, oder sie standen eingesperrt auf Geleisen, bis die Amerikaner die noch Lebenden herausholten und bei den Einheimischen einquartierten.
Vierzig Jahre nach den Todeszügen durch die bayerische Bilderbuchlandschaft schrieb die Gemeinde Gauting einen Gestaltungswettbewerb für ein Denkmal gegen das Vergessen aus. Die Jury wählte einstimmig den Entwurf des Pullacher Akademieprofessors Hubertus von Pilgrim. Ein Gautinger Gymnasiast hatte mit seiner Facharbeit über die letzten Nazigreuel das Schweigen gebrochen und Erinnerung und Diskussion entfacht. Inzwischen markieren zehn gleichartige Mahnmale den langen Weg des Leidens und des planmäßigen Terrors. Ein elftes wurde am ersten November 1992 in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eingeweiht.
Auch wenn Unterstützung nicht einhellig aus allen Gremien kommt und Säureanschläge gerade auf dieses Denkmal besonders häufig sind, hoffen die Antragsteller, daß auch in Fürstenfeldbruck bald der zwölfte Bronzeabguß stehen wird. Das Geld ist fast vollzählig auf dem Spendenkonto und der Standort dem Stadtrat vorgeschlagen: eine Verkehrsinsel im Zentrum, die rund 5.000 Menschen am Tag nur schwer übersehen können.
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