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Archiv-Artikel

Mäuse und Mörder

Arte besucht in der „Comix“-Reihe Art Spiegelman, Zeichenstift-Chronist menschlichen Leids (Sa., 20.15 Uhr)

Es scheint, als müsse Art Spiegelman auf die Momente warten, in denen sich die Menschheit wieder selbst an Grausamkeit übertrifft. Zehn Jahre hatte er keinen langen Comic mehr gezeichnet – er saß rauchend in seinem New Yorker Atelier und entwarf Magazintitel. Erst als am 11. September 2001 ein Teil seiner Stadt unterging, begann er, ein weiteres Mal die bittere Wirklichkeit in kleine Kästchen und Sprechblasen zu zwängen. Heraus kam „Im Schatten keiner Türme“, nach den beiden „Maus“-Bänden Spiegelmans dritter Versuch, unsagbares menschliches Leid durch die visuellen Mittel der Populärkultur erfahrbar zu machen.

Eine spannende psychologische Selbstanalyse des großen Intellektuellen unter den Comickünstlern ist die Dokumentation „Art Spiegelman – der Spiegel der Geschichte“ geworden, die im Rahmen der „Comix“-Serie von Comickünstlerporträts läuft. Ganz offen spricht der einzige Comiczeichner mit Pulitzer-Preis (1992 für „Maus“) dort über das Trauma 9/11, die Katharsis des Zeichnens und seinen Kampf mit dem unverhofften Ruhm nach der Veröffentlichung von „Maus“. Wie die gesamte „Comix“-Reihe besticht das Porträt vor allem dadurch, dass der Künstler selbst ausführlich seine Bilderwelt erklären darf. Solche Zurückhaltung tut gut: Keiner interpretiert Spiegelman so intelligent wie Spiegelman.

Und der macht vor allem eines immer wieder deutlich: Für ihn sind Comics eine „Überlebensstrategie“. In „Maus“ malte er die unfassbaren Erlebnisse seiner jüdischen Eltern in der Hölle von Auschwitz mit Nagetieren, Hunden und Schweinen nach und brachte so das postmoderne Kunststück fertig, die These Adornos gleichzeitig zu bestätigen und zu widerlegen, angesichts des Holocausts könne man nur noch schweigen. Zeichnen kann man noch.

Traurig-schön kritzelte er sich später mit „Der Gefangene des Höllenplaneten“ den Selbstmord der Mutter von der Seele. Zuletzt beschrieb er die verzweifelte Suche nach seiner Tochter in den Trümmern von Manhattan – im Spiegel der Geschichte und des eigenen Ichs. Aus allen Werken gibt es in der Dokumention Ausschnitte zu sehen, leider immer unterlegt von einem nervigen Sprechblasenerzähler. Comicfans erfahren nebenbei noch einiges über die Produktion des Bandes „Im Schatten keiner Türme“, aus dem Spiegelman gerade wegen der Herstellung am Computer eine meisterlichen Melange verschiedenster Zeichenstile machte.

Am Ende bleibt die Dankbarkeit, dass es neben den zuckersüßen Realitätsfluchten des Disney-Imperiums mit Spiegelman noch einen kunstvollen Comicbiografen der wahren Welt gibt.ALEX MENGER