: Männerduell ohne Leidenschaft
■ Linssen gegen Lammert: Kandidatenkür der NRW-CDU ohne Kontroversen / Mitglieder dürfen direkt wählen
Bochum (taz) – Herbert Reul, der umtriebige Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, freut sich ungeniert. Von einem „neuen CDU-Gefühl“ schwärmt er. In diesen Tagen zeige sich, „daß eine Menge von der CDU noch unterwegs und bereit sind, sich zu engagieren“. Am Donnerstag abend drängten und zwängten sich fast 1.000 Parteigänger ins Bochumer Stadtparkrestaurant, um „den fairen und sportlichen Wettbewerb“ (Reul) um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im kommenden Jahr aus nächster Nähe zu beobachten.
Helmut Linssen (51), der Düsseldorfer CDU-Oppositionschef, und Norbert Lammert (45), in Bonn Bildungsstaatssekretär, haben bei ihrer Tour durch die Bezirke des Landes in Bochum haltgemacht, um sich der Parteibasis als nächste Spitzenkandidaten zu empfehlen. Nicht der Partei-Klüngel in den Hinterzimmern der Macht soll diesmal entscheiden, sondern die rund 210.000 Mitglieder selbst werden am 15. Mai per Urabstimmung ihren Spitzenmann nominieren.
Nachdem der Landesvorsitzende Norbert Blüm seinen Düsseldorfer Statthalter Linssen Anfang des Jahres als Rau-Herausforderer vorgeschlagen hatte, schien das Rennen für den mittelständischen Unternehmer aus dem niederrheinischen Issum schon so gut wie gelaufen. Doch der Frieden währte nicht lange. Auf sämtlichen Parteiebenen hob ein unzufriedenes Grummeln an. Am weitesten wagte sich die Junge Union (JU) aus der Deckung hervor. Linssen „stehe nicht für Offensive, sondern für weiter so, also den Status quo“, wetterte JU-Chef Norbert Röttgen. Der junge Christdemokrat beklagte die „Selbstbedienungs- und Absahnermentalität“ in der CDU und hielt der Führungsriege vor, die Partei zu oft „als Instrument der eigenen Karriere“ zu mißbrauchen. So kam Lammert denn ins Spiel.
Zu den Markenzeichen des Sozialwissenschaftlers, der seit Jahren der Ruhrgebiets-CDU vorsteht, gehört ein argumentativer Politikstil. Lammert vermeidet Sprücheklopferei, ihm mißfallen „die Versuche, mit platten Wahrheiten Eindruck zu machen“. Zu Linssen, der im Düsseldorfer Landtag so manches Mal durch maßlose propagandistische Ausfälle von sich Reden machte, böte Lammert tatsächlich eine Alternative. Doch davon wird bei den „Vorstellungsrunden“ wie in Bochum nichts deutlich. Beide Kandidaten zeigen sich geradezu krampfhaft bemüht, jeden Streit zu vermeiden. Die meiste Zeit verbringen sie damit, den seit 1966 in NRW regierenden Sozialdemokraten kräftig den Marsch zu blasen.
Beim Publikum kommt das an. Warum die beiden überhaupt gegeneinander antreten, bleibt im dunkeln. Sicher, in Tonart und Stil sind die Unterschiede nicht zu verkennen, aber die wirklich heißen Eisen packt der innerhalb der CDU zum Geißler-Flügel zählende Lammert nicht an.
Auch Linssen hält sich zurück. Zu seinen Lieblingsthemen Innen- und Ausländerpolitik kommen ihm nur wenige Sätze über die Lippen: ein klares Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft und ein Seitenhieb auf die „weiche Linie“ des Düsseldorfer SPD-Innenministers Herbert Schnoor. Gerade auf diesem Feld hätte sich Lammert von Linssen, der einst mit dem Begriff vom „Asylantenparadies NRW“ Stimmung gegen Flüchtlinge machte, absetzen können. Richtig frenetischen Applaus gab es in Bochum nur, als Linssen Härte gegen straffällig gewordene Kurden ankündigte: Die müßten „unverzüglich abgeschoben werden. Da darf es kein Pardon geben.“
Vielleicht erklärt sich aus diesem Beifall Lammerts Schweigen. Generalsekretär Reul kommt die Harmonie gerade recht, denn „am Ende müssen wir doch zusammen kämpfen, damit Rau abgelöst wird“. Reul wähnt seine Partei durch die Kandidatenkür auf einem guten Weg und glaubt, „daß es den Sozialdemokraten ein Stückchen bange wird“. Noch zittert bei den Sozis indes niemand. Die verweisen kühl auf die letzten Umfrageergebnisse, und danach geht es der CDU in NRW sehr schlecht.
Die Partei, die 1975 noch 47,1% erzielte und bei der Landtagswahl 1990 mit Blüm gerade noch 36,4% schaffte, steht heute schlechter da als je zuvor. Mehr als 30% trauen die Meinungsforscher der Blüm- Truppe derzeit nicht zu. Reul läßt sich davon nicht irritieren. Durch die Kandidatenkür sei die Partei „munterer geworden, und ein Sieger des Wettstreites steht heute schon fest: die NRW-CDU.“ Walter Jakobs
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