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Archiv-Artikel

Männer mit Schablone

Hans Neuenfels verkettet die Ingredienzien von Beethovens „Fidelio“ an der Hamburgischen Staatsoper neu

Fidelio: Das ist vordergründig das dramatische Geschehen um den politischen Gefangenen Florestan, dessen Gattin Leonore sich, als Mann verkleidet, als Fidelio beim Kerkermeister Rocco einstellen lässt, um ihren Gatten zu befreien. Fidelio an der Hamburgischen Staatsoper: Das ist eine Aufführung des Stücks als Gesamtkunstwerk, das ein formal problematisches, musikalisch jedoch meisterhaftes Werk in eine bestechende Form bringt und nebenbei noch die Handlung vermittelt.

Die theatralischen Mängel des Stücks liegen offen zu Tage. Es beginnt im scheinbaren Singspielton und steigert sich zur großen dramatischen Oper. Diese Steigerung funktioniert aber kaum, weil der Text mangels Glaubwürdigkeit kaum trägt. Dazu kommt, dass die Sänger normalerweise Dialoge sprechen müssen, die, zwischen Pathos und Banalität, heute kaum mehr zu vermitteln sind.

Wer trotzdem Fidelio zu einem gelungenen Gesamtkunstwerk machen will, dem muss schon viel einfallen. Regisseur Hans Neuenfels und Bühnenbildner Reinhard von der Thannen ist sogar sehr viel eingefallen. Noch während die Ouvertüre – Premiere war am Sonntag – etwas fahrig vor sich hin wackelt, erscheinen erste Textprojektionen. Der Handlungsort Spanien wird angekündigt; man sieht einen Raum mit Terrazzo-Boden und Kakteen. Man wähnt sich in einem spanischen Innenhof, wären da nicht die irritierend schwarzen Wände, mit weißen Lämpchen bestückt. Das wirkt kalt und abweisend – eine Chiffre postmoderner Geschäfts- und Gefühlswelten.

Rocco (Hans-Peter König), der Kerkermeister, wirkt, als käme er gerade von der Festveranstaltung einer Großbank. „Hast du nicht auch Gold auf Erden“, singt er und meint es durchaus gut mit seiner Tochter Marzelline und seinen Mitarbeitern Jacquino und Fidelio, Letzterer von Susan Anthony sehr überzeugend gesungen. Aber Rocco ist selbst Gefangener eines Systems, das ihm wiederum einen Gefangenen zugeführt hat, den er verhungern lassen soll: Florestan (Hubert Delamboye). Rocco fühlt sich überfordert: Wenn es um Leben und Tod geht, siegt das Mitleid.

Dass dies alles so klar vermittelt wird, liegt daran, dass Neuenfels die Dialoge stark bearbeitet und in eine Sprechpartitur gebracht hat. Er lässt die Figuren artifiziell sprechen und führt einen Erzähler ein. Das Spektrum reicht von Sachlichkeit bis zu Manierismen. Aus dem stetig wechselnden Sprechrhythmus entsteht eine musikalische Sprachgliederung, die sich organisch in Beethovens Partitur fügt. Der Clou dabei: Alle Dialoge kommen vom Band, dargeboten von erstklassigen Sprechern. Zu diesen Einspielungen agieren die Sänger, als sprächen sie selbst – in Playback-Manier. So entsteht eine Verfremdung, die zwar Distanz schafft, aber in Anbetracht der Vorlage erst Identifikation ermöglicht: ein gelungener Coup Neuenfels‘. Ebenso überzeugend: sein Ansatz, Männer als Gefangene der eigenen Sehnsüchte zu definieren – etwa, wenn im Gefangenen-Chor des ersten Akts Männer unterschiedlicher Nationalität auftreten, die fast alle eine Frauenschablone im Arm haben. Bevor sie in den Kerker zurückgeschickt werden, nimmt man ihnen die Schablone – Projektionsfläche eigener Wünsche – wieder weg. Ein starkes Bild.

Neuenfels hat für diese Inszenierung viele solcher Bilder ersonnen. Er hat das Stück interpretiert, wie er es bei Verdis Macht des Schicksals oder beim Troubadour getan hätte: als Folge von Seelenbildern, die nicht logisch miteinander verknüpft sein müssen. Und deshalb stört die im Original so schlecht konstruierte Handlung hier nicht im Geringsten. Der Abend könnte aber noch stärker wirken, wenn die gute, aber lediglich im Pizarro (Falk Struckmann) überragende Besetzung bessere Unterstützung aus dem Orchestergraben erfahren hätte. Ingo Metzmachers Dirigat erschien seltsam matt. Diverse Unsicherheiten in den Bläsern und Abstimmungsprobleme zwischen Orchester und Chor waren unüberhörbar, werden in den Folgevorstellungen aber sicher behoben sein. Reinald Hanke

nächste Vorstellungen: 6., 7. + 9. 4., 19.30 Uhr, Hamburgische Staatsoper