: Männer-Mainstreaming an der FU
Der neue Unipräsident der Freien Universität, Dieter Lenzen, legt eine Polemik mit dem Titel „Diagnose Lehrer“ vor. Darin geht er vor allem mit Grundschullehrerinnen hart ins Gericht. Wissenschaftlicher Überprüfung hält sein Aufsatz aber nicht Stand
von WALTRAUD SCHWAB
Glaubt man Dieter Lenzen, dem seit einer Woche amtierenden Präsidenten der Freien Universität (FU,) dann gilt: Frauen erfüllen die Kriterien nicht, die an einen „professionellen Lehrer“ gestellt sind. Dies zumindest legt sein Aufsatz „Diagnose Lehrer“ nahe, den der Professor für „Philosophie der Erziehung“ im Mai dieses Jahres in der Wissenschaftszeitschrift universitas veröffentlichte.
Eigentlich soll der Aufsatz den Burn-out bei Lehrern und Lehrerinnen untersuchen. Er gipfelt dabei in einem 26 Punkte umfassenden Kriterienkatalog zur Frage „Was ist ein professioneller Lehrer?“. Zu lesen ist da unter anderem: „Ein professioneller Lehrer wählt seinen Beruf primär im Blick auf die Berufstätigkeit, in zweiter Linie aufgrund des Fachinteresses oder aufgrund von Arbeitsmarktbedingungen.“ – „Er hält angemessene Distanz zu Schülern und Eltern.“ – „Er ist konfliktfähig.“ – „Er ist teamfähig“ – „Er hat eine optimistische Grundeinstellung.“
Um sein Beharren auf dem männlichen Pronomen zu erklären, ist im Anschluss an den Kriterienkatalog zu lesen: Eigentlich „müssten die Professionalisierungsmaximen jeweils auch in der weiblichen Form formuliert werden. Jedoch: Das weibliche Selbstkonzept des Lehrers ist viel stärker auf Soziales und Pädagogisches gerichtet als auf professionelle Wissensvermittlung. Angesichts der Tatsache, dass das Lehrpersonal in Grundschulen zu zirka 95 Prozent weiblich ist, hat dieses nachhaltige Folgen für professionelle Wissensvermittlung im Primarbereich.“
Als reichte dies nicht, um ganzen Lehrerinnengenerationen ihre Qualifikation abzusprechen, fährt Lenzen fort: Im Primarbereich „ist die Zahl der Teilzeitbeschäftigten auch besonders groß. Nicht selten nehmen junge Frauen diese Funktion als Ergänzung zu ihren Verpflichtungen in der Familie wahr. Als Arbeitskräfte auf halben, Drittel- oder Viertel-Beschäftigungspositionen können die Professionalitätserwartungen ihnen gegenüber allerdings auch kaum größer sein als gegenüber Teilzeitkräften, die in Supermärkten als Lager- oder Kassiererpersonal arbeiten.“
Weil die Lehrerinnen demnach nicht die Erwartungen an eine gelungene Wissensvermittlung erfüllen, zieht Lenzen den Schluss, dass „Resignation und Aggression gegenüber offenkundigen Professionalitätsmängeln nicht verwundern“ können, und knüpft so indirekt wieder an die Burn-out-Thematik an. Da Lenzens Aufsatz sich zudem auf die Pisa-Studien bezieht, wird in der Konsequenz nahe gelegt, dass letztlich die Lehrerinnen für das schlechte Abschneiden deutscher Schüler und Schülerinnen verantwortlich zu machen sind.
Mit diesem Artikel liegt eine bedenkenswerte Polemik vor. Einer wissenschaftlichen Überprüfung können Lenzens Thesen aber nicht standhalten, meint die Erziehungswissenschaftlerin an der FU, Eva Jablonka. Zusammen mit ihrem Kollegen Uwe Gellert stellt sie klar, dass die Sekundarstufe – und auf diese bezieht sich die bei Pisa getestete Alterstufe der 15-Jährigen – zu 41,3 Prozent von Lehrern unterrichtet wird. In der Iglu-Studie wurde dagegen das Wissen der Grundschüler und -schülerinnen getestet. Dort waren die deutschen Kinder relativ erfolgreich. Und dies, obwohl im Grundschulbereich nach einer OECD-Studie 81,2 Prozent Lehrerinnen sind. An Berliner Grundschulen sind es derzeit 87 Prozent. „Also sind weibliche Lehrkräfte professioneller. Zu dem Ergebnis kommt auch ernst zu nehmende Forschung zur Sozialisation von Grundschullehrerinnen – es wird auf die Doppelqualifikation von Frauen zurückgeführt“, meinen Jablonka und Gellert.
Dieter Lenzen weist energisch zurück, dass er mit seinem Text sagen wollte, das weibliche Geschlecht sei nicht für den Lehrerberuf geeignet. Dennoch ist er der Meinung, dass die vielen Lehrerinnen in Grundschulen ein Problem seien, „da die kleinen Jungen die Lehrerinnen als verlängerte Mutter wahrnehmen und Schwierigkeiten bei der geschlechtlichen Identitätsfindung haben“. Außerdem bemängelt er, dass die Teilzeitarbeit der Lehrerinnen es verhindere, dass „sie eine Klasse voll übernehmen. Wir müssen von den Lehrern erwarten, dass sie die Stellen ganz ausfüllen. Zur Professionalität eines Berufes gehört es, dass man ihn nicht nebenbei ausübt.“
Nach Angaben des Statistischen Landesamts arbeiteten im Jahr 2000 in Berlin allerdings nur 25 Prozent des Lehrpersonals an Grundschulen nicht mit vollem Deputat. Der Pressesprecher der Schulverwaltung gibt übrigens zu bedenken, dass durch Lehrkräfte, die Teilzeit arbeiten, neue Stellen vor allem für jüngere Lehrer und Lehrerinnen geschaffen werden.
Lintrun Weber-Freudenberger, die Frauenbeauftragte des Fachbereichs Erziehungswissenschaften, die die Äußerungen Lenzens für „eine Nachlässigkeit“ hält, springt dennoch für ihn in die Bresche: Dem FU-Präsidenten liege daran, den Forschungsaspekt der Erziehungswissenschaft zu vertiefen. Denn mit Forschung, nicht mit Ausbildung könnten Drittmittel für die Universität akquiriert werden. Drittmittel aber würden bei der finanziellen Absicherung der Universitäten immer wichtiger.
Eine Erklärung für die gegen Lehrerinnen gerichtete Analyse Lenzens ist dies jedoch nicht. Lenzen stellt soziale und pädagogische Fähigkeiten in Opposition zu professionellem Unterrichten. Er ignoriert dabei, was er selbst als Tatsache in seinem Aufsatz benennt: dass die Lehrer und Lehrerinnen in immer stärkerem Maße Erziehungsaufgaben übernehmen müssen. Weshalb von daher das Augenmerk auf die Pädagogik in Opposition zur Professionalität stehen soll, bleibt offen. „Ja, der Mann hat schon viel Stuss geschrieben, obwohl er sonst ein ganz Vernünftiger ist“, stöhnt eine andere Frauenbeauftragte, die nicht namentlich genannt werden möchte.
Als Universitätspräsident ist Lenzen mit nicht unerheblichen Problemen vor allem finanzieller Art konfrontiert. Keine neuen Studenten im Wintersemester anzunehmen ist ein Vorschlag zum Geldsparen, mit dem die Verantwortlichen schon mal gedroht haben. Lenzens Artikel legt eine andere Lösung nahe: eine Bevorzugung der Männer bei der Zulassung zu bestimmten Studienrichtungen. „Gar nicht so abwegig“ sei das, meint Wegner-Freudenberger. Das Gender-Mainstreaming laufe darauf hinaus, dass Fachbereiche wie der ihre, wo zwischen 71 und 76 Prozent Frauen studierten, aufgefordert seien, für Männer attraktiver zu werden.
Mit besserer Bezahlung und pädagogischen Konzepten, die auf den Gesellschaftswandel reagieren, würde der Beruf ebenfalls attraktiver für Männer, so die einhellige Meinung von befragten PädagogInnen. Einer Polemik gegen Lehrerinnen bedürfe es dafür nicht.