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Mädchenhandel in NicaraguaKinder verkaufen um zu überleben

An der Atlantikküste kaufen Drogenhändler aus Honduras 10- bis 15-jährige Mädchen. Die Kinder und Jugendlichen werden als Sexsklavinnen weiterverkauft

Mädchen in Nicaragua. Bild: ap

SAN SALVADOR taz | Junge Mädchen des indigenen Volks der Miskito werden von mittelamerikanischen Drogenhändlern als Sexsklavinnen gehalten. Nach Informationen der Vereinten Nationen kommen die Dealer aus Honduras über die Grenze an die karibische Küste Nicaraguas und kaufen die Zehn- bis 15-Jährigen ihren völlig verarmten Eltern ab.

Bis zu 2.000 US-Dollar würden für ein Mädchen bezahlt, berichtet Mirna Cunningham, die Vorsitzende des UN-Forums für indigene Fragen. Vor allem in der weit verstreuten Gemeinde Waspam am Grenzfluss Río Coco „sehen viele Familien im Verkauf ihrer Mädchen die einzige Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern“, schreibt Cunningham in einer Erklärung. Meist würden Scheinehen arrangiert, um die Mädchen legal über die Grenze bringen zu können. In Honduras verliere sich dann ihre Spur.

Aufgeflogen ist der Mädchenhandel durch den Fall einer 11-Jährigen, die sich in ihrer Not an die Organisation Wangki Tagni, ein indigenes Frauennetzwerk gegen Gewalt, gewandt hatte. Sie wurde von ihren Eltern gegen eine Kuh an einen Mann aus Honduras ausgeliefert, berichtet Leduvina Uill, die Sprecherin von Wangki Tagni. Man habe erfolglos versucht, den Handel zu unterbinden. Der Mann schicke von Honduras aus SMS-Nachrichten, in denen er sich über die Frauenrechtlerinnen lustig mache.

Das Ausmaß des Mädchenhandels ist bislang unbekannt. „Diese Verbrechen spielen sich in aller Heimlichkeit ab“, sagt Cunningham. Man wisse jedoch, dass im vergangenen Jahr mindestens 22 Mädchen auf dem Weg in die Schule vergewaltigt worden sind. Bei der Polizei sind rund 10.000 Anzeigen wegen sexueller Gewalt eingegangen. Allerdings sei nur in jedem sechsten Fall überhaupt ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Mädchenhandel werde in der Regel erst gar nicht angezeigt.

Drogenhändler als Arbeitgeber

„Wir wissen davon, aber so gut wie niemand stellt eine Anzeige“, sagt Carmen Poveda, Chefin der Frauenkommissariate der Polizei in der nördlichen Atlantikregion Nicaraguas. „Die Leute fühlen sich von den Drogenhändlern bedroht. Inzwischen ermitteln wir trotzdem.“ Ein Problem dabei sei die spärliche Polizeipräsenz in der nur dünn besiedelten Urwaldregion. Zudem gibt es seit vier Jahren keinen einzigen Staatsanwalt in der gesamten Provinz.

Ermittlungen werden in aller Regel ergebnislos eingestellt, weil niemand Beweise sichert und Zeugen und Opfer verhört oder weil schlicht prozessrechtliche Fristen nicht eingehalten werden. „Die Gemeinde Waspam hat eben wegen der massiven sexuellen Gewalt und wegen des Verkaufs von Mädchen an Drogenhändler dringend nach einem Staatsanwalt verlangt“, weiß Odeth Leytón, die Frauenbeauftragte des Innenministeriums in Managua. Geschehen aber ist bislang nichts.

Die nördliche Atlantikküste Nicaraguas ist die ärmste und wirtschaftlich am wenigsten entwickelte Region des Landes. Die überwiegend indianische Bevölkerung lebt in weit im Wald zerstreuten Siedlungen, ihr wichtigster Verkehrsweg ist der Grenzfluss Río Coco. Rund 90 Prozent der Miskito überleben mit weniger als zwei US-Dollar am Tag, etwa ebenso viele gehen keiner geregelten Arbeit nach.

Die wichtigsten Arbeitgeber der Gegend sind die Drogenhändler. Weil sie die Region schon seit Jahren kontrollieren, spricht man im Volksmund von der Narko-Küste. Kokain aus Kolumbien wird mit Schnellbooten angeliefert oder mit Kleinflugzeugen in den Dschungel gebracht. Von dort wird die Ware auf dem Landweg nach Honduras weitertransportiert. Die Kartelle arbeiten dabei mit Einheimischen als Wächter, beim Verladen und beim Transport.

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