Machtverhältnisse in Russland: Der Autoritäre und der Liberale
Die Welt fragt sich, wer Russland regiert, Putin oder Medwedjew? Eigentlich ist es egal, denn von der Bürokratie werden sowieso nur zehn Prozent der Anweisungen umgesetzt.
MOSKAU taz | Wer ist der mächtigste Mann Russlands? Unzählige Politikanalysten beschäftigt diese Frage, seitdem Präsident Wladimir Putin Dmitri Medwedjew im letzten Jahr zu seinem Nachfolger erkor. Seither steht Russland eine Doppelspitze vor. Medwedjew sitzt im Kreml, Premierminister Putin herrscht im Weißen Haus und ist mit den täglichen Regierungsgeschäften betraut.
Die Tandemführung ist in der russischen Herrschaftstradition, die auf einen Allherrscher ausgerichtet ist, eine ungewöhnliche Konstruktion. Kann die Doppelspitze überdauern? Wird der Premier bei erstbester Gelegenheit die Chance nutzen, in den Kreml zurückzukehren? Bei all diesen Überlegungen wurde unterstellt, dass beide nach gewisser Zeit eine unterschiedliche Agenda verfolgen könnten. Nicht zuletzt hatte sich Medwedjew im Wahlkampf mit liberalen Ideen von der autoritären Politik des Vorgängers abgehoben. Doch ohne Putins Zustimmung wäre dies gar nicht möglich gewesen.
Nach einem Jahr führen Putin und Medwedjew eine symbiotische Beziehung. Medwedjew ist der aufgeschlossene Blogger mit einem eigenen Portal, der Kritik zulässt und nicht gleich Verrat dahinter wittert. In alter russischer Tradition machte er sich die instrumentelle Seite des Fortschritts zu eigen, blockiert aber die Umsetzung und Modernisierung der gesellschaftlichen Strukturen. Putin verkörpert unterdessen in Reinform die alten Werte der sowjetischen Nomenklatura.
Einschneidende Differenzen waren bislang nicht zu erkennen. Im Georgienkrieg ließ Medwedjew russische Truppen aufmarschieren und erkannte die Unabhängigkeit der georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien an. Im November veränderte er die Verfassung und verlängerte die Amtszeit des Präsidenten. Am Tag der Amtseinführung Barack Obamas drohte er überdies den Europäern mit Raketen in Kaliningrad. Die imperiale Obsession Putins teilt auch der neue Kremlchef. Eigentlich, sagt ein Mitarbeiter im Weißen Haus hinter vorgehaltener Hand, verstünden sich beide bestens. Rivalitäten sind eher persönlicher als inhaltlicher Natur.
Sich gegen Putin zu behaupten würde das fragile Gleichgewicht zwischen den herrschenden Clans gefährden und womöglich beide Politiker in den Abgrund reißen. Dessen ist sich das Duo bewusst. Putin genügt die Kontrolle über den Kreml, und auch Medwedjew atmet im Schutz des Premiers leichter. Er trägt weniger Verantwortung und genießt dennoch alle Privilegien des Präsidenten. Besonders in der Krise ist dies von Vorteil. Überdies konnte der Präsident noch keine schlagkräftige Hausmacht aufbauen. Hinter den Kulissen soll es häufiger zu Auseinandersetzungen kommen. Anweisungen verlassen die jeweiligen Apparate, die einander offen widersprechen.
Dennoch: Weder Putin noch Medwedjew entscheidet über die Zukunft Russlands. Das letzte Wort haben die Clans und die Bürokratie, die nur 10 Prozent der Anweisungen von oben umsetzt. Egal ob sie nun aus Putins oder Medwedjews Feder stammen.
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