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Archiv-Artikel

Mach mal halblang!

Politiker und Gewerkschaften fordern, wegen heißer Sommer die Siesta in Berlin einzuführen. Denn kollektives Dösen ist gesund. Spanier glauben aber nicht an die neue Entspanntheit der Deutschen

Manche schwitzen ja nur. Manchen brennt die Hitze jeden vernünftigen Gedanken aus dem Kopf. Manche reden gar wirr. Nicht so der Berliner Bundestagsabgeordnete Klaus-Uwe Benneter. Er denkt kühl über das Wohl der leidenden WählerInnen nach. „Wir sollten dazu übergehen, das öffentliche Leben unseren neuen klimatischen Bedingungen anzupassen“, sagte der SPD-Vordenker in einem Fernsehbericht. Und folgert: „Zwischen 12 und 16 Uhr sollte das öffentliche Leben ruhen.“

Benneters Ruf nach der Siesta in Deutschland verhallt nicht ungehört. Die Opposition hat bereits Feuer gefangen wie ein brandenburgisches Kiefernwäldchen. „Wir haben die Sommerzeit eingeführt, warum sollen wir nicht auch die Siesta einführen?“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele. Das hätte doch was: Bankangestellte, die sich mittags den Sombrero tief ins Gesicht ziehen – und die Füße auf der Tastatur hochlegen. Benneter, der im Plenarsaal wegdämmert, den Poncho bis zur Nase gezogen.

Die Gewerkschaften sind angesichts extrem langer Mittagspausen hellwach. „Wenn es den Arbeitnehmern nützt, kann man darüber nachdenken“, so DGB-Sprecher Kai Lindemann. „Wir befürworten branchenspezifische Pausenregelungen.“ Auf dem Bau müssten anstrengende Arbeiten bei 35 Grad Hitze verlegt werden, so Lindemann, während Angestellte in Büros auch ohne Siesta klarkämen. Nur der Senat will sich nicht äußern. Noch. Aber jeder weiß: Siestameister Klaus Wowereit – derzeit im Urlaub – ist ein entspannter Typ, bei einer Mexiko-Reise vor drei Jahren blitzte sein südländisches Temperament hervor (siehe Foto). Eine Idee mit Zukunft?

Das kollektive Dösen wäre jedenfalls eine Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient. Eine Siesta in der schlimmsten Hitze sei „unbedingt zu befürworten“, sagt Ingo Fietze, der Leiter des Charité-Schlafforschungszentrums. Durch ein Schläfchen in der Mittagspause, zwischen fünf Minuten und einer halben Stunde, tanke der Körper Energie, so Fietze. „Der Körper erholt sich, wenn sich der Geist für kurze Zeit verabschieden kann.“

Aber die Kritiker reagieren hitzig. In der Industrie- und Handelskammer ist das Wort „Siesta“ so verpönt wie „Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich“. Sprecher Holger Lunau redet sich in Rage: Eine „typische Sommerlochdebatte“ sei das. „Statt populistische Sprüche zu verbreiten, sollten sich Politiker um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft bemühen.“ Schließlich herrsche in Deutschland ein so extremes Wetter nur wenige Tage im Jahr. Die Räume der IHK an der Fasanenstraße sind voll klimatisiert. Aber das nur am Rande.

Und was sagen die Profis zur deutschen Siesta? Virtudes González arbeitet als Studienleiterin beim Instituto Cervantes, dem spanischen Pendant zum Goethe-Institut – und hat ihre Zweifel: „Ich glaube, viele Deutsche werden zappelig, wenn man sie zwingt, drei Stunden lang Pause zu machen.“ Dagegen spricht: Die Deutschen sind gerade wahnsinnig stolz auf ihre neue Entspanntheit. Und fest steht auch: Die Siesta brauchte Asyl. Denn spanische Politiker diskutieren, sie abzuschaffen, weil sie Abläufe in Firmen und Büros behindert. Vielleicht äußerte sich deshalb die spanische Botschaft gestern nicht zum Import der traditionellen Pause, die sich laut Brockhaus vom lateinischen hora sexta (sechste Stunde nach Morgengrauen) ableitet. Die taz-Anfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Warum wohl?

CLP, NDU, ROT, US, WS

(Feierabend um 18.08 Uhr)