: Mach mal Tankpause
Wiesen, Pferde und qualmende Fabriken: Das Essener Festival „Industriefilm Ruhr“ zeigt am Wochenende Werbefilme der Fünfzigerjahre – mit Kitsch, Kopftüchern und Brillantine-Frisuren
VON JOHANNES SCHNEIDER
Ein Mann und eine Frau fahren in einem Porsche-Cabrio durch schwarz-weiße Landschaft, er mit Brillantine-Frisur, sie mit modischem Kopftuch. Die Sequenz scheint der Beginn eines typischen Heile-Welt-Films der 50er Jahre zu sein. Doch plötzlich – im Vordergrund stehen noch Pferde auf Wiesen – erheben sich Fabrikschlote am Horizont, dann fährt das Auto schon an Zechengebäuden vorbei, folgt Hinweisschildern zum Ruhrschnellweg. „Jetzt müssen wir in dieser hässlichen Gegend auch noch tanken“, sagt die Frau und steuert den Wagen auf eine Tankstelle an der B1. Ein Tankwart tritt an das Wagenfenster. „Sie kommen aus Berlin?“, fragt er – und beginnt von den Vorzügen des Ruhrgebiets zu schwärmen. Und von den Vorzügen des Kraftstoffs der Sprit-Firma Aral.
Die Rahmenhandlung des Films „Tankpause an der Ruhr“ ist denkbar banal. Die Machart aber ist hochprofessionell: Die Darsteller gehörten zum Ensemble des Bochumer Schauspielhauses. „Und die Regisseure der Industriefilme der 50er Jahre waren meist altgediente UFA-Leute, die Kameramänner stammten größtenteils aus Göbbels Propagandakompanie“, sagt Paul Hofmann von der Kinemathek in Duisburg. Mit zehn weiteren Unternehmen stellen das Aral-Archiv und die Kinemathek den „Stoff“ für die fünfte Ausgabe des Festivals „Industriefilm Ruhr“, das am kommenden Wochenende im Filmtheater Eulenspiegel in Essen stattfindet.
„Natürlich sind Industriefilme eigentlich kein eigenes filmisches Genre“, sagt Paul Hofmann. So komme „Tankpause an der Ruhr“ daher wie ein Unterhaltungsfilm mit Peter Kraus und Conny Froboess. Andere Filme bedienten sich des schneidig-dokumentarischen Tons der „Wochenschau“. Trotzdem hat sich die Bezeichnung Industriefilm im vergangenen Jahrzehnt als Genre-Bezeichnung durchgesetzt. „Vorher hielten die Unternehmen diese alten Werbe-Filmchen einfach unter Verschluss, meistens weil es ihnen peinlich war“, erinnert Hofmann. Inzwischen sind nicht nur der Industriefilm und das Festival etabliert, seit kurzem gibt es auch eine Professur an der Ruhr-Universität Bochum.
„Was den Industriefilm so interessant macht, ist sein Unterschied zur heutigen Werbung“, so Manfred Rasch vom ThyssenKrupp-Konzernarchiv. Anstatt schneller Schnitte und einer Gesamtlänge von 30 Sekunden würden richtige Geschichten erzählt. Bei „Tankpause an der Ruhr“ dauert allein die erste Kameraeinstellung 30 Sekunden, die Gesamtlänge des Films beträgt 38 Minuten. „Das ist aber auch schon wieder extrem“, sagt Hofmann. Der durchschnittliche Industriefilm war zehn bis 15 Minuten lang und wurde deutschlandweit im Kino als Vorfilm gezeigt. Für die Kinobetreiber war diese sehr diskrete Form des Produkthinweises äußerst attraktiv. Damals wurde die Vergnügungssteuer noch wesentlich konsequenter auf Kinos angewandt, „echte“ Werbung kostete deutlich mehr. Als das Kino gegenüber dem Fernsehen an Bedeutung verlor, sank die Steuer: Der Beginn des modernen Werbezeitalters und das Ende des Industriefilms.
„Es ging weniger darum, ein Produkt zu bewerben, vielmehr wollte man ein Arbeitsumfeld anpreisen“, sagt Hofmann. In Zeiten des Arbeitskräftemangels habe man im Ruhrgebiet händeringend nach Industriearbeitern gesucht. Um die Vorbehalte der Menschen gegenüber der Gegend an Rhein und Ruhr zu zerstreuen, habe man vor allem die lebenswerten Seiten der Arbeit und des Zusammenlebens gezeigt. So legt auch „Tankpause an der Ruhr“ im weiteren Verlauf viel Wert auf das gesellige Leben in den Kneipen. Doch auch die vielbeschworene Hässlichkeit des Reviers wurde aufgegriffen.
„Das verbindende Element der Industriefilme ist der Fortschrittsoptimismus des Wirtschaftswunders“, sagt Manfred Rasch – und weist damit auf ein mögliches Problem der anstehenden Filmschau: Mit der Vorführung der idealisierten Filme ergibt sich auch die Gefahr der Idealisierung der 50er Jahre im Ruhrgebiet. Zudem sind elf der zwölf teilnehmenden Archive an Unternehmen gebunden, die zum Teil heute noch von Bedeutung sind – neben Aral sind das auch Mannesmann und ThyssenKrupp. Das Filmfestival als nostalgische Werbeschau? Paul Hofmann, nicht nur Leiter des einzigen unabhängigen Archivs, sondern auch Moderator der Veranstaltung, will dem entgegen steuern: „Man muss auf die Werbeeffekte hinweisen.“ Bei kritischer Betrachtung seien die Industriefilme aber eine wichtige historische Quelle: „In den Filmen steckt enorm viel Alltagskultur – in den frühen Filmen mehr als in den späten.“ Die setzten schon zu sehr auf den Schokoladeneffekt der heilen Welt.
Industriefilm Ruhr, 29. + 30. OktoberFilmtheater Eulenspiegel, EssenInfos: 0201-275555