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Archiv-Artikel

hört auf den Sound der Stadt

FATMA AYDEMIR

Wie spießig sind Sie?“, fragt neulich ein Psycho-Test am verspulten Sonntagabend auf dem Küchentisch. „Warum nicht?“, antworte ich. Los geht’s: „Sie wollen ausschlafen, weil Sie gerade Urlaub haben, da stellt ein Nachbar um 9 Uhr die Bohrmaschine an. Wie reagieren Sie?“ Nun, mir ist das schon sehr häufig passiert, da ich immer in solchen Häusern gewohnt habe, in denen irgendwelche leider sehr unspießigen Bohrmaschinen-Fetischisten zu meinen Nachbarn zählten. Meine Antwort also: Wie ein Zombie laufe ich im Schlafanzug durchs Treppenhaus, bis ich feststelle, dass so eine Bohrmaschine ganz schön tricky, viel zu tricky für mich ist. Denn egal in welchem Stockwerk ich mich befinde, es hört sich so an, als befände sich das Drecksteil genau dort, tut es dann aber doch nicht, und ich weiß einfach nicht, wem ich jetzt eins überziehen soll. Also lege ich mich zurück ins Bett, ziehe mir das Kissen über den Kopf und nehme das gefilterte Bohren als Ambient-Musik wahr, die mich zurück in meine Träume führt. Klappt ganz gut, im Ernst. Ob ich deshalb spießig bin, weiß ich immer noch nicht, doch scheinbar stehe ich auf „unmenschliche Musik“. Beim gleichnamigen Festival im HKW feiert nämlich der Klanggestalter Tamer Fahri Özgönenc die Uraufführung seiner „Cluster 100. Bohrmaschinen-Installation“. Hundert identische Heimwerkermaschinen werden dort in vier auf jeweils einen Ton gestimmte Gruppen aufgeteilt. Ein Traum. Und das Beste daran: Wir spielen mit. Das Klangbild des Bohrerclusters reagiert auf die akustischen Interferenzen, die die Bewegungen der Rezipienten im Raum auslösen. Also ganz ohne Kopfkissen und mit der Möglichkeit, in jedem Moment auszusteigen. (John-Foster-Dulles-Allee 10, 19.45 Uhr, Eintritt frei)

Ein kompletter Gegensatz in Sachen Nervenverschleiß, jedoch voll in einer Linie in puncto Unspießigkeit sind The Sea and The Cake, die am Dienstag ins HAU 2 laden. Wie entlastend, wie hübsch, wie menschlich die Chicagoer nur im Vergleich zum Bohrercluster klingen. Während der Heimwerkersound sich machtvoll an der Schädeldecke des Hörers vergreift, lebt The Sea and The Cake von Zurückhaltung und Flatterhaftigkeit. Anders als viele ihrer Postrockerkollegen setzt die fünfköpfige Band, die im vergangenen Jahr ihr zehntes Album „Runner“ veröffentlicht hat, nämlich nicht auf Dekonstruktion und Erschütterung. Meer und Kuchen, der Name sagt’s ja schon: wohlwollend, beglückend, nicht mehr und nicht weniger. (Hallesches Ufer 32, 20 Uhr, 16,50/11 €)

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