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Archiv-Artikel

„MTV ist schlauer“

Wenn schmales Budget zum Wettbewerbsvorteil wird: Die Videomacher von der Filmlounge gelten als Underdogs und Shooting Stars der Szene

Interview KERSTIN GRETHER

Die Filmlounge GmbH wurde vor drei Jahren als Produktionsstandort für audiovisuelle Medien gegründet. Sie beschäftigt 2 Angestellte und 25 freie Mitarbeiter. Der Produzent Juri Maric und die beiden Regisseure Florian Giefer und Peter Göltenboth kümmern sich um Animationen für Internet und Fernsehen. Bekannt wurden sie durch ihre Videoclips für Wir Sind Helden, Union Youth oder Nina. Allesamt Vertreter kultiger Mainstream-Rebellion.

taz: Ihr habt das Video gedreht, mit dem Wir Sind Helden über Nacht zu Popstars geworden sind. „Die Reklamation“ stellt die Mechanismen der Kontrollgesellschaft anhand einer „Bravo“-Foto-Love-Story dar. Und lief im Musikfernsehen, trotz Low-Budget-Produktion, rauf und runter. Muss man als kleine Videofirma bessere Ideen haben, um mit den großen konkurrieren zu können?

Florian Giefer: Es gibt ja nur noch kleine Firmen. DoRo, die Branchenriesen – sie hatten ihr Büro übrigens direkt gegenüber von unserem – sind Pleite gegangen. Als die Budgets eingebrochen sind, konnten sie ihren Apparat nicht mehr halten. Durch die Krise der Musikindustrie haben sich die Budgets nämlich schlichtweg halbiert. Früher hatte man locker 40- bis 50.000 Euro zur Verfügung, heute müssen circa 20.000 Euro reichen.

In einer Krise verschärfen sich die Extreme: viele Videoregisseure gehen erst recht auf Nummer sicher und reproduzieren gängige Klischees, andere forcieren Originalität und Risikobereitschaft und versuchen darüber, glamourös zu werden.

Juri Maric: Für uns ist es eine Gratwanderung zwischen kommerzieller Dienstleistung und künstlerischer Freiheit. Trotzdem sind wir auch vorsichtig. Jeder überlegt jetzt etwas länger, welche Ideen überhaupt eine Chance haben.

Florian Giefer: Es gibt trotzdem noch genug gute Musikvideos. Die Plattenfirmen kapieren schon, dass sie auf Dauer besser fahren, wenn sie auch neue Acts aufbauen und sich etwas einfallen lassen.

Was unterscheidet gute von schlechten Musikvideos?

Florian Giefer: Ich steh auf Videos, die eine Geschichte erzählen. Auch reine Performance-Videos können geil sein, wenn sie zur Musik passen. Außerdem muss ein überraschendes, innovatives Element im Spiel sein.

Welche Bedeutung haben Popvideos für die Alltagskultur?

Juri Maric: Musikvideos haben die Möglichkeit, das Image einer Band zu prägen.Wenn Madonna einen Cowboyhut trägt, laufen alle einen Sommer lang mit Cowboyhüten rum. Alltagskultur und Popvideos beeinflussen sich wohl gegenseitig.

Junge Frauen sind die Musen der Popkultur. Der männliche Künstler verkauft seine Musik gerne durch die Zurschaustellung idealer Weiblichkeit …

Florian Giefer: Klar, wenn jemand ein Video von einem Hintern im Weitwinkel-Objektiv bestellt, wird er es auch kriegen. Es gibt ja Regisseure, die genau darauf spezialisiert sind, während bei uns keiner auf die Idee käme, ein Arsch-und-Titten-Video zu bestellen. Mich nerven diese Art Videos am meisten. Weil da so eine Steinzeit-Kommunikation stattfindet: Tanzende Frauen, die sich in seltsamen Stellungen ständig an den Körper fassen. Ich glaube aber, dass viele Leute davon mittlerweile genervt sind.

Welche Auswirkungen haben Musikvideos auf den Verkauf von Tonträgern?

Florian Giefer: Das frage ich mich auch immer. Das wüssten, glaube ich, alle gern.

Juri Maric: Es gibt auch ohne Video Hits. Sommerhits zum Beispiel. Im Nachhinein wird noch schnell ein halbherziger Clip dazu gedreht. Oder Radiohits. Die müssen allerdings fürs Autoradio taugen, also sehr kommerziell sein.

Songs, für die ein Video gedreht wurde, sind letztlich doch die anspruchsvolleren?

Florian Giefer: Das kann man so sehen. Es ist der Unterschied zwischen Viva und MTV. Bei Viva laufen die Songs für den Moment, für ein jüngeres Publikum, das nebenher Hausaufgaben macht. Bei MTV wird immer gefragt, ob es auch ein Album dazu gibt. Deshalb laufen da die intelligenteren Videos.

Eure jüngsten Lieblingsvideos?

Juri Maric und Florian Giefer: Justin Timberlake: „Cry Me A River“. Red Hot Chili Peppers, alles von denen. „Intuition“ von Jewel. „The Man Comes Hard“ von Johnny Cash. Und Queens of the Stone Age, „Gone with the flow“.