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MONO-TON

■ Schnitzlers „Anatol“ im Herzton-Theater

Ein Sofa steht umgekippt im Raum, läßt seine aufplatzende Unterseite sehen und den Wartenden an Seelen-Innerei, die sich gleich nach außen stülpen wird, und Ähnliches denken. Damit ist's dann für diesen Abend vorbei mit Einblicken für den, der da etwas sehen wollte. Das Sofa wird zurückgeklappt und als nun aprikosenfarbenes Requisit der übrigen Neon -Sterilität eingefügt.

Vorbei ist es auch mit jenen zarteren Einsichten, aus denen Arthur Schnitzlers Erstling Anatol gemacht ist. Die sähen ungefähr so aus: Anatol, zwar blasiert, eitel, durchschnittlich, aber als fin-de-siecle-Rentier wohlbegütert, kann sich ausschließlich seinen Affären widmen, was ihn als dramatische Person und Versuchsobjekt gegenüber unsereinem empfiehlt. Anatol erzählt die kleinen Abenteuer, die seine Existenz ausmachen, seinem Männerfreund, und fast genügte schon dies einfache Redenlassen, daß sich das lose gefügte kleine Ich verrät. Schnitzler geht weiter und läßt obendrein die Frauen, von denen geredet wird, leibhaftig auftreten - und das große Mißverhältnis zwischen den aufgetischten Lügen selbstgefälliger Einbildung und den Wirklichkeiten konnte offen zutage treten. Jeder der Pointen, auf die die sieben Einakter hinauslaufen, wäre eine Entlarvung und ein Zerfall.

Gar nichts offenbart sich natürlich, wenn Anatol unter der künstlerischen Leitung von Thomas Kirnbauer schon als totaler Dummschnösel auf die Bühne kommt, clownsgesichtig und in Rennfahrradfahrerhosen (solche tragen die Träger toten Kapitals heute), tapsig sich an die Wiener-Walzer -Schrittvorschrift hält und, begleitet von sehr weiträumigen Fuchteleien, seine zwei einzigen Sprechweisen auswechselt: pinkelige „eeh„-töne mit hochgeflanschter Oberlippe a la „mich eh-kelt eh alles außer ich selbst“ und tiefgepreßt nölige „ää“ a la „wir wissen aber Bescheid“. Solchem Anatol glauben wird nicht mal, daß er seine Lügen nötig hat, und selbst die Schrecken der Ent-täuschungen sind ihm nur Anlaß, eine andere der schmeichelnden Posen einzunehmen. Haltung, und selbst jene, die einen zweitklassigen Dandy zusammenhält, ist immerhin noch anderes als Pose. Wer sich selbstgenügsam vorm Spiegel suhlt, wird angerührt von nichts und braucht keine.

So spielt sich selbst dann nichts ab, wenn eine der sechs Frauen auftritt, welche hier auch tatsächlich, wohl weil bei Anatol eh alles aufs Gleiche hinausläuft, gleich von immer derselben Schauspielerin gespielt werden. Ein dramatischer Kurzschluß sondergleichen. So wird ihnen/ihr selbst noch der Reiz des Immerneuen genommen und der Orgie narzißtisch verquälter Non-Erotik die Dornenkrone aufsetzt. Die eine hat nun keine Chance, aber sie nutzt sie: einmal, das Netz der schulmeisterlichen Einstudierung zerreißend, spielt sie ein klein wenig Kroetz, kniet am Boden und lächelt leidend.

Nikoff

Bis zum 8. Juli jeweils freitags, samstags und sonntags um 20.30 Uhr in der Herzton-Schauspielschule, Hasenheide 54.

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