MODERNES LESEN: NEUE BÜCHER KURZ BESPROCHEN VON DIRK KNIPPHALS : Kulturkritik
Ralf Konersmann: „Kulturphilosophie. Zur Einführung“. Junius Verlag, Hamburg 2003. 192 Seiten, 15,50 €
Ralf Konersmann ist Philosophieprofessor in Kiel und macht sich derzeit um die Gebiete der Kulturphilosophie im Allgemeinen und der Kulturkritik im Besonderen verdient. Im Verlag Reclam Leipzig hat er neulich zwei informative Sammelbände kanonischer Texte zu diesen Bereichen veröffentlicht; in ihnen kann man einen guten Überblick darüber gewinnen, welche Gedanken und Thesen zum Lauf der Welt von den klassischen Autoren und kanonischen Texten schon einmal vorgedacht wurden. Ein interessantes Angebot für jeden Leser, der das Projekt verfolgt, seinem eigenen kulturkritischen Denken auf die Spur zu kommen.
In der Einführungsreihe des Junius Verlages hat Ralf Konersmann nun zudem eine gut lesbare Hinführung zum aktuellen Stand der Kulturphilosophie, wie er sie sieht, vorgelegt. Sein Ansatz ist dabei von einer Spannung geprägt. Zum einen diagnostiziert er ein Bedürfnis, ja sogar eine Notwendigkeit dazu, über den Stand unserer Kultur nachzudenken. Ein wenig steif heißt es an einer Stelle über die Kulturwissenschaften: „Ihnen ist es aufgegeben, für den modernitätsspezifischen Ausfall der metaphysischen Obdachgewährung einen Ausgleich zu finden.“
Zum anderen verwirft Konersmann aber viele Erscheinungsformen, in die sich dieses Nachdenken bislang gekleidet hat. In einer Fußnote heißt es dezidiert: „Von dem, was sich in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten kulturkritisch vernehmen ließ, ist vieles und sogar das meiste nicht zu retten.“ Hier hat Konersmann die entgrenzte Kulturkritik in der Tradition Heideggers oder Spenglers im Blick, „deren Horizont auf die immer schon ausgemachte Tragik des Niedergangs und auf die Verklärung vormoderner Lebensformen beschränkt bleibt“. Aber auch an der Kulturkritik der Frankfurter Schule hat Konersmann etwas zu meckern; deren Konzept der Kulturindustrie hält er für „fatal“, es vereitelt für ihn geradezu die differenzierte Wahrnehmung zeitgenössischer kultureller Ausdrucksformen.
Und schließlich sieht Konersmann auch die Intellektuellen skeptisch, die sich in die Pose des Anklägers werfen, um fundamental gegen die eigene Zeit und Kultur zu protestieren. Solchen gegenkulturellen Ansprüchen zieht Konersmann mit einer einfachen Geste den Boden unter den Füßen weg: Er erklärt sie zum Mainstream. Schon Rousseau, Stammvater aller Gegenkulturellen, habe den „Bedürfnissen seiner Zeit gerade dadurch entsprochen, dass er wie kein anderer entschlossen war, sich mit ihren Grundsätzen und Erwartungen zu überwerfen“.
Konersmann selbst hält es mit Ernst Cassirer. Die Krise der Kultur, die die kulturphilosophische Reflexion auslöst, ist für ihn keine Tragödie, sondern ein Dauerzustand. Rettung der Kulturkritik durch Tieferhängung ihrer Ansprüche: Statt die eigene Kultur normativ zu verdammen, soll sie für ihn die ständigen Veränderungen innerhalb der Kultur begleiten. Zu tun bleibt auch so genug. Im Anschluss an den Klassiker Georg Simmel notiert Konersmann die Fragen, auf denen die Kulturkritik beharren soll: „Woher wir kommen; was uns etwas angeht; ob es das ist, was einmal gewollt war; wie wir diejenigen geworden sind, als die wir uns empfinden; was wir gewinnen und was wir verlieren; was wir aus uns und der Welt gemacht haben und zu machen im Begriff sind.“ Schließlich: „Was den Menschen bleibt, nachdem sie haben einsehen müssen, dass ihnen ‚der Griff nach der einen Evidenz‘ versagt ist.“
Mag sein, dass unsereinem dieser Einführungsband so gut gefällt, weil mit diesen Fragen eine überzeugende Arbeitsplatzbeschreibung eines Feuilletonisten vorliegt. Aber auch als Gegengift gegen die Spreizungen einer sich als fundamentaloppositionell verstehenden Kulturkritik ist der Band gut brauchbar.