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MIT ODER OHNE Manuela Schneider gibt es erst seit zwei Jahren: Vorher war sie Manuel. Als sie in ihrer Heimatstadt offen als Frau auftrat, bekam sie Hass-Mails und wurde verprügelt„Der gesamte Druck ist weg“

Interview Ilka Kreutzträger

taz: Frau Schneider, warum wollen Sie darüber sprechen, dass Sie eine Frau sind?

Manuela Schneider: Offiziell bin ich ja erst seit 2013 eine Frau und ich habe lange genug nichts gesagt. Die Pubertät war für mich die Hölle, allein schon die Körperbehaarung überall! Vorher hatte ich eine recht hohe Stimme und war sehr zierlich, auch wenn man das jetzt nicht mehr sieht. Aber je weiter die Pubertät voranschritt, desto schlimmer wurde es. Ich hab mich vor meinem Penis geekelt, eine morgendliche Erektion war für mich widerlich. Ich habe mich nie als Jungen und als Mann akzeptiert, habe aber, wie man so sagt, immer mit den Wölfen geheult. Ich habe ein grausiges Doppelleben geführt.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie kein Mann sind?

Mit 19 Jahren war mir endgültig klar, dass ich eine Frau bin und ich bin hier in Heiligenhafen zu einem Arzt gegangen. Aber außer ihm habe ich es niemandem gesagt. Ich habe mir eine Wohnung genommen, habe im Rettungsdienst gearbeitet, bin als Mann zur Arbeit gefahren, habe meine Arbeit als Mann getätigt und sobald Feierabend war und ich zuhause war, habe ich mich ganz normal als Frau angezogen und mich vorsichtig geschminkt. Aber ich musste ja auch in der Wohnung vorsichtig sein, voll aufgeschminkt sein ging nicht, falls mal unangekündigt Freunde zu Besuch kamen. Ich hatte die Abschminktücher immer parat.

Wieso haben Sie sonst niemanden eingeweiht?

Sehen Sie, es ist leichter, über die Lippen zu bringen, dass man homosexuell oder bisexuell ist. Und selbst da erleben ja viele eine sehr negative Resonanz. Wenn ich offen als Frau unterwegs sein wollte, bin ich nach Hamburg, Kiel oder Lübeck gefahren, wo mich niemand kannte. Ich hab mich als Mann ins Auto gesetzt, hab die Frauengarderobe mitgenommen und mich auf irgendeiner Autobahnraststätte fertig gemacht. Würdevoll ist was anderes. Aber besser als anderen Menschen zu sagen, man steckt im falschen Körper – das geht bös’in die Hose.

Haben Sie die Erfahrung so gemacht?

Ich hatte im Januar 2013 mein Coming-out und habe über 95 Prozent meiner Freunde verloren. Die haben gesagt, du bist Dreck, das ist widerlich, du bist krank. Wenn ich heute durch Heiligenhafen gehe und eine alte Klassenkameradin sehe, verschwindet die im nächsten Laden, wechselt die Straßenseite oder macht eine 180-Grad-Kehre und flitzt weg. Frühere Freunde sagen mir, du kannst zu unserem Treffen kommen, aber nur als Mann, sonst schämen wir uns. Hätte ich eine Bank überfallen, ein Kind missbraucht oder jemanden getötet, würde ich das ja alles verstehen. Aber ich habe niemandem was getan.

Sie hatten erst mit 43 Jahren Ihr Coming-out und sich vorher keinem Freund oder jemandem aus der Familie anvertraut?

Nur meiner Oma, die hat das irgendwann gemerkt und mir geraten, es nicht länger zu verheimlichen. Sie ist 2003 gestorben und hat bis zu ihrem Tod gesagt, Kind, offenbare dich. Aber ich hab mich nicht getraut.

Wovor hatten Sie Angst?

Vor meinen Mitmenschen. Ich war hier in Heiligenhafen schon einmal 2009 neun Tage lang als Frau unterwegs. Mich hat niemand erkannt, darauf war ich auch sehr stolz. Und dann bin ich am 9. Dezember um kurz vor Mitternacht von Jugendlichen so derbe zusammengeschlagen worden, dass ich bis zum 16. Januar in der Uniklinik in Lübeck im Koma lag. Fragen Sie mich lieber, was heile geblieben ist. Ich war richtig zerfetzt. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen und es wurde immer schlimmer. Irgendwann konnte ich nicht mehr und im Dezember 2012 habe ich oben auf der Fehmarnsund-Brücke gestanden und wollte springen.

Sind Sie aber nicht. Was ist passiert?

Irgendeine Stimme hat mich zurückgehalten, klingt blöd, aber ich glaube, das war meine Oma. Jedenfalls habe ich mich dann am 1. Januar 2013 über Facebook geoutet und auch meinen Freundeskreis informiert. Tja, ich habe sehr viele Hass-Mails, SMS und Anrufe von Freunden gekriegt – von der Familie mal ganz zu schweigen.

Die konnte damit nicht umgehen?

Absolut nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr.

Wieso wohnen Sie immer noch in Heiligenhafen, wenn Sie hier nur Ablehnung erfahren?

Ich plane, dieses Jahr noch nach Lübeck zu ziehen. Ich hatte ja dieses Jahr die Brust-OP und die geschlechtsangleichenden Operationen und ich will, dass das da unten alles verheilt und dann geht’s nach Lübeck.

Aber wieso erst jetzt?

Ich habe immer auf den Tag gewartet, an dem ich mich traue. Jeden Tag habe ich gedacht: Morgen! Morgen sagst du es! Aber wie soll man den Leuten so was erzählen? Und als ich mich dann endlich geoutet habe, wollte ich nicht mehr weglaufen und mich verstecken.

Wie unterscheidet sich Ihr Leben als Frau von dem Leben, das Sie als Mann geführt haben?

Als Mann war ich in Heiligenhafen gut eingebunden. Als Frau überhaupt nicht. Aber jetzt ist der gesamte Druck weg, verstehen Sie? Ich bin endlich in dem Körper angekommen, in dem ich eigentlich drin sein sollte. Ich bin zwar heute arbeitslos und im Moment krankgeschrieben. Aber ich brauche die Auszeit auch, um mit meinem neuen Körper klarzukommen. Meine Lebensuhr läuft überhaupt erst seit dem 1. Juni 2015. Das war der Tag, an dem ich in Hamburg meine Angleichung gehabt habe.

Wie war das, als Sie nach der OP aufwachten?

Natürlich hatte ich einen Heidenrespekt vor der Operation, weil alles mögliche schiefgehen kann. Es kann zum Beispiel der Darm zerfetzt werden, weil das Dammbein für die Vagina aufgebohrt wird. Künstlicher Darm­ausgang, totale Inkontinenz oder totale Gefühllosigkeit sind möglich. Ich habe nach dem Aufwachen als erstes gefühlt, ob ich einen künstlichen Darmausgang hab, hatte ich nicht! Und der zweite Griff, naja, das hört sich vielleicht blöde an, aber ich war gleich unten am Fummeln und dachte nur, oh gut, das Teil ist weg. Auch wenn das am Anfang aussah, als wäre einer mit dem Trecker drüber gefahren.

Hat Sie jemand unterstützt?

Ich habe ja im Freundeskreis nur Schwestern, also Transfrauen. Und da haben mich einige natürlich in der Klinik besucht. Meine Mutter war auch einmal da, aber nur, um mir zu sagen, dass ich das nicht hätte tun sollen und als Mann hätte weiterleben können. Ich hab sie weggeschickt, das ist abgehakt. Jetzt habe ich noch eine Operation, da werden die Schamlippen vernünftig angepasst und es wird noch ein bisschen mehr Tiefe hineingebracht. Eine Stimmband-OP möchte ich gern noch machen und ich muss meine Brust nochmal komplett neu machen lassen, weil meine Implantate nicht richtig sitzen und mein Dekolletee immer tiefer rutscht.

Hatten Sie eigentlich Beziehungen?

Einmal hatte ich eine Beziehung zu einem Mann, die hat aber nur neun Monate gehalten. Und eine Alibi-Beziehung zu einer Bio-Frau habe ich nie geführt. Klar kamen viele Freunde an und fragten: Wieso hast du keine Frau? Bist du schwul? Ich hab dann immer gesagt, ach, scheiß auf die Frauen, ich will Junggeselle bleiben. Ich habe da als Mann auch mithauen müssen, wenn in der Disko mal eine Schlägerei war oder so. Ich war ein arrogantes Stück Scheiße, ein Arschloch. Wie ein Mann eben so sein muss.

Naja, man muss ja als Mann nicht zwingend ein Arschloch sein.

Manuela Schneider

45, lebt in Heiligenhafen an der Ostsee und kam dort als Manuel Schneider auf die Welt. Als Mann war sie Rettungsassistent, als Frau hat sie keinen Job und ist derzeit krankgeschrieben. Sie hat vergangene Woche in einer Hamburger Klinik die vielleicht letzte Operation im Rahmen ihrer Geschlechtsangleichung machen lassen.

Ich war aber ein großes Arschloch. Sehen Sie, ich war ja auch unzufrieden und damit unausgelastet und aggressiv. Allein schon, immer diese männliche Garderobe anzuziehen! Als ich mein Comingout gehabt hab, habe ich meine gesamte männliche Garderobe auf einen Haufen geworfen und in einem großen Flammenmeer vernichtet.

Klingt sehr befreiend.

Das war es auch. Es gab einige solcher Momente nach meinem Coming-out. Am 16. Dezember 2013 etwa, an meinem Geburtstag, habe ich Post vom Landgericht Lübeck bekommen und darin stand: Ihrem Antrag auf Namensänderung wird stattgegeben. Ich habe später eine neue Geburtsurkunde bekommen und einen Personalausweis, ausgestellt für Frau Manuela Schneider. Den Manuel gibt es nicht mehr, der ist behördlich gelöscht.

Vor der Namensänderung mussten Sie aber noch ein Jahr offen als Frau leben.

Richtig, und diesen sogenannten Alltagstest habe ich ehrlich gesagt als reine Schikane empfunden. Sie müssen als Frau auftreten, in Ihrem Pass steht aber Manuel Schneider. Es gibt zwar von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität einen Ergänzungsausweis, den Sie zeigen können, aber überlegen Sie mal, wir zwei hätten uns in der Zeit auf der Damentoilette getroffen und Sie hätten gedacht, na, mit dem stimmt doch was nicht. Dann wäre das Ihr gutes Recht gewesen, die Polizei zu rufen.

Ist Ihnen das mal passiert?

Abgesehen von sehr unschönen Erlebnissen in der Damenwäsche-Abteilung, wo ich mich von Verkäuferinnen als pervers oder als Fetischist beschimpfen lassen musste, bin ich vor der Namensänderung einmal in eine Verkehrskontrolle geraten. Die Polizisten guckten in meinen Führerschein und zu mir und da musste ich gleich mal aus dem Auto raus, Hände auf den Wagen und all das. Am Ende musste ich mit auf die Wache und da war dann ein Beamter, der sich schlau gemacht hatte, was es mit meinem Ergänzungsausweis auf sich hatte und der meinte irgendwann, ach komm, jetzt hau ab.

Aber es ist doch nicht verboten, als Mann in Frauenklamotten im Auto herumzufahren.

Nein, aber die Richtlinien sind hier nun mal so unwürdig. Ich erkläre es gern so: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine kaputte Hüfte und Ihre Krankenkasse sagt Ihnen, leben Sie ein Jahr damit und erst dann zahlen wir Ihnen eine OP. Klingt bescheuert? Genau so hat sich dieser Alltagstest für mich angefühlt. Und danach müssen Sie zum Gericht wegen der Namensänderung und sich vor zwei Gutachtern entblößen und Fragen nach Ihrem Verkehr beantworten, warum und was empfinden Sie dabei, mit wem machen Sie es, wie oft, wann und wie? Und und und. Das Problem ist, dass in Deutschland immer noch die Meinung vorherrscht, Transsexualität sei eine psychiatrische Krankheit, dabei haben US-Forscher festgestellt, dass es ein neurobiologischer Gendefekt ist und den können Sie nicht wegdiskutieren oder wegtherapieren.

Sind Sie verbittert?

Naja, ich habe nichts von meinem Leben gehabt, weil ich mich nur verstecken musste. Aber ich versuche, darüber hinwegzusehen und jetzt heißt das Thema: Leben. Ich muss vieles nachholen, auch wenn ich nicht mehr viel verlangen kann in meinem Alter. Ich will jetzt einfach als Frau im Alltag ankommen. Und ein bisschen Liebe, Geborgenheit und Wärme wären schön.

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