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MIT EUROPAS STAATSKONZERNEN AUF DU UND DUEin Saurier außer Tritt

■ Staatsholding Austrian Industries vor erneuter Sanierung

Wien (taz) — „Der ersparte Pfennig ist redlicher als der erworbene.“ Diesen polemischen Luther-Spruch hat sich das staatliche österreichische Industriekonglomerat Austrian Industries (AI) zur Devise gemacht. Mit einem Abspeckprogramm sollte der Industrieriese, der Stahl, Aluminium, Erdöl, Chemie, Anlagen- und Maschinenbau unter einem Dach vereint und ein Siebtel der gesamten österreichischen Industrie umsetzt, für den härter werdenden Wettbewerb getrimmt werden. Doch kaum hatte Chefcontroller Wolfgang Berger-Vogel den Rotstift angesetzt, stolperte die ohnehin blessierte Staatsholding gleich wieder in ihre nächste Krise.

Zunächst sackte die Aluminiumtochter Austria Metall (Amag) in tiefrote Zahlen. Sie muß zum Jahresende mit einem Rekordverlust von 1,2 Milliarden Schilling (171,4 Mio. Mark) rechnen. Der Stahlbereich, durch die Linzer VÖEST Alpine Stahl AG abgedeckt, siecht weiter vor sich hin. Vor drei Wochen nahm dann Siegfried Meysel, Chef der Österreichischen Mineralölverwaltung (ÖMV), seinen Hut — die Verluste der Öl-, Gas- und Chemiesparte hatten sich bereits im ersten Halbjahr 1992 auf eine halbe Milliarde Schilling summiert. Die Börse reagierte prompt auf das neuerlich ramponierte Image: Die Kurse in Wien purzelten auf historische Tiefstände; die ÖMV-Aktie, einst teilprivatisierter AI-Musterbetrieb und einer der bisher stabilsten Faktoren auf dem österreichischen Börsenparkett, verlor mehr als 25 Prozent an Wert. Die Plazierung der AI an der Börse wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Für viele Beobachter aber war Konzernboß Meysel das erste Opfer der schier unglaublichen staatlichen AI-Gigantomanie: Die Konzernleitung, angefeuert aus Kreisen der Regierungspartei SPÖ, wollte mit aller Gewalt aus der ÖMV ein Energiemonster formen. Über Nacht wurde die Donaurepublik mit dem Vorstoß, die ÖMV mit dem ebenfalls halbstaatlichen Verbundkonzern, dem einzigen Stromer der Donaurepublik zu fusionieren, in zwei scheinbar unüberbrückbare Lager gespalten.

Die schwächliche Konjunktur und die starke Konkurrenz aus den östlichen Nachbarstaaten sei an der AI-Misere schuld, jammerte die Konzernleitung. Als im Dezember 1989 die staatlichen Betriebe Österreichs mit viel Pomp zu den Austrian Industries (Umsatz 1991: 169,8 Mrd. Schilling) zusammengepreßt wurden, galt die seit Jahrzehnten marode und defizitäre Staatsindustrie des Landes als saniert — zumindest bei einem Großteil der Politiker. Doch heute kann nur eine der vier Branchenholdings matt glänzen: Ausgerechnet das bisherige Sorgenkind der Verstaatlichten, die AI-Technologies AG, befindet sich in einem Aufwärtstrend.

Wie der Finanzbedarf der Austrian Industries von rund 2,6 Milliarden Schilling plus noch offener Rückzahlungen an die Republik Österreich über 3,4 Milliarden Schilling abgedeckt werden soll, weiß derzeit niemand. Doch für AI- Boß Hugo Sekyra steht fest: Das Geld für eine zweite Sanierung soll mit Privatisierungen „an allen Ecken und Enden“ eingetrieben werden. Ob „AI Kompakt“, wie das neue Sanierungskonzept genannt wird, dem Saurier wieder auf die Beine helfen kann, bleibt für die Wirtschaftsexperten jedoch fraglich. Erwin Single

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