MIT DEM RUBELSTURZ AUF DU UND DU: Rußlands Währung verliert ein Viertel ihres Wertes
■ An Moskaus Devisenbörse führt inzwischen offenbar jede Regierungsäußerung zum Währungsabsturz
Moskau/Berlin (taz/dpa) — Der Rubel befindet sich weiter im freien Fall. Gestern mußte man an der Moskauer Devisenbörse 248 Rubel für einen Dollar zahlen. Auf der St. Petersburger Börse wurden am Vortag sogar 302 Rubel für die US- Devise geboten. Dies entspricht einem Wertverlust der russischen Währung zwischen einem Viertel und einem Drittel in einer Woche.
Als Ursache wurde auf der Devisenauktion eine Rede des russischen Premierministers Jegor Gaidar genannt. Demnach ist das russische Haushaltsdefizit in den vergangenen zwei Monaten auf 800 Milliarden Rubel gestiegen. Nach offziellen Regierungsangaben vom Juli wären das knapp fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. In den ersten vier Monaten 1992 war der Haushalt noch ausgeglichen.
Mit einem Anschwellen des Defizits hatten Experten jedoch gerechnet, weil die Einnahmen des Staates nicht wie geplant hereinkommen. So sinken mit der Produktion die Gewinne der (staatlichen) Industrie. Außerdem wurde die angekündigte Mehrwertsteueranhebung bis auf weiteres verschoben. Jelzins Versprechen anläßlich des Münchener Wirtschaftsgipfels, das Haushaltsdefizit unter fünf Prozent des Bruttosozialprodukts zu halten, hat sich damit als unhaltbar erwiesen. Mißtrauen herrscht auch gegenüber dem russischen Zentralbankpräsidenten Viktor Geraschtschenko, der die Schulden der Staatsunternehmen gegeneinander aufrechnen und bereinigen will. Gaidar wirft Geraschtschenko vor, für die Beseitigung der Schulden neues Geld drucken zu wollen, was die Inflation weiter anheizen würde. Westliche Finanzexperten in Moskau halten das Paket jedoch für „inflationsneutral“.
Die russische Zentralbank hat gestern die Angriffe Gaidars zurückgewiesen. Nach ihren Angaben hat die Bank bis zum 14.September Kredite in Höhe von 1,386 Billionen Rubel freigegeben, davon nur sechs Prozent ohne Abstimmung mit der Regierung und dem Parlament. Bis Anfang September seien Schulden der Regierung bei der Bank in Höhe von 1,284 Billionen Rubel aufgelaufen, davon 823 Milliarden zur Deckung des Haushaltsdefizits. „Der Hauptgrund für das Aufblähen des Geldumlaufs ist das Vorgehen der Regierung“, sagte der stellvertretende Zentralbankchef Alexander Chandrujew.
An Moskaus Devisenbörse scheint offenbar jede Handlung oder Äußerung der Regierung den Rubelkurs weiter hinabzuziehen. Am vergangenen Wochenende hatte Jelzin ein Dekret unterzeichnet, nach dem die Ölpreise freigegeben werden sollen — auf Druck des IWF, um die Einnahmenseite des Staatshaushalts zu erhöhen. Der Rubel stürzte danach dennoch, weil die Devisenhändler lediglich den preistreibenden Effekt der Maßnahme registrierten. Donata Riedel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen