MICHAEL BRAUN ÜBER DAS NORD-SÜD-GEFÄLLE : Demokratisches Südeuropa
Von Berlin aus betrachtet, ist die Welt mal wieder in Ordnung – und bis auf die FDP sind alle sturzzufrieden. Denn der Laden ist so stabil: Die Konservativen haben gewonnen, dann kommt die SPD …
Mit dieser Normalität steht Deutschland ziemlich allein – anderswo hat die Wahl nationale Parteiensysteme in den Grundfesten erschüttert. Der kometenhafte Aufstieg der Ukip in Großbritannien, der Triumph des Front National in Frankreich, der massive Einbruch sowohl der Konservativen als auch der Sozialisten in Spanien, der gigantische Sieg von Syriza in Griechenland: Hier war die Wahl vor allem eine der Wut.
Bemerkenswerterweise findet der massive Vormarsch der Rechtspopulisten in erster Linie nicht in den Länder Südeuropas statt, die am stärksten von der Eurokrise betroffen sind. Die punkten vielmehr in Ländern, in denen die Lage vergleichsweise eher gemütlich ist. Sie zählen auf Wähler, die Europa den Rücken zuwenden wollen, weil sie glauben, sich diesen Schritt leisten zu können, mit einem stramm rechten Votum gegen „Ausländer“, für die „Souveränität“, gegen „Schmarotzer“ und Europa. Ganz andere Trends sind in Südeuropa zu verzeichnen. Auch wenn das in Deutschland nicht so auffällt – es ist etwas anderes, ob jemand prinzipiell gegen die EU wettert oder gegen Merkels Krisenkurs.
Italiens Wähler etwa verschmähten die rechtspopulistischen Angebote diverser Anti-Euro-Parteien und machten dafür massenhaft bei Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung ihr Kreuz – einer Bewegung, deren Anhänger in der großen Mehrheit den Kurswechsel, nicht aber den Abschied von Europa wollen. Auch in Spanien oder Portugal sind radikale Rechtskräfte eher randständig. Wir können es auch so sagen: Der Süden des Kontinents hat eine weit größere demokratische Reife bewiesen als der Norden.
Europataz SEITE 2–8