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Archiv-Artikel

MERKEL UND KACZYŃSKI HABEN AUF HELA DIE NOTBREMSE GEZOGEN Es gibt Wichtigeres als die Geschichte

Einen Durchbruch hat die viel beschworene Stranddiplomatie nicht gebracht. Zwar haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Polens Präsident Łech Kaczyński an der Ostsee ein paar Schritte aufeinander zu gemacht – aber die Distanz ist immer noch enorm. Trotzdem sollte man auch über diese minimale Annäherung durchaus froh sein. Denn die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland drohten in den letzten Monaten in einen neuen kalten Krieg auszuarten.

Nun haben Merkel und Kaczyński auf der Halbinsel Hela die Notbremse gezogen. Die Geschichte blieb diesmal außen vor. Weder erwähnte Kaczyński die Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg, die Ermordung von Millionen Juden und Polen und die totale Zerstörung der Hauptstadt Warschau, noch forderte Merkel die Zustimmung Polens zur Errichtung eines Vertriebenen-Mahnmals in Berlin ein. Vergessen sind die Streitpunkte nicht. Aber es gibt Wichtigeres zu klären.

Die gemeinsame Zukunft steht auf dem Spiel. Wenn sich Deutschland und Polen nicht einigen können, müssen dies alle Partner in EU und Nato bezahlen. Merkel mahnte denn auch immer wieder: „Europa darf sich niemals spalten lassen“ und „Geteilte Sicherheit wäre mangelnde Sicherheit“. Dabei schloss sie allerdings auch die Deutschen nicht aus. Deutschland muss ebenfalls dazu beitragen, dass sich Polen in der EU als Partner ernst genommen und in der Nato sicher genug fühlt. Es darf nichts sein, dass die Bringschuld immer nur von den Polen eingefordert wird.

Insofern war es gut, dass Merkel an der Ostseeküste betonte, wie dankbar ganz Europa den Polen für ihr unbedingtes Freiheitsstreben und die Solidarność-Bewegung sei. Dass die Solidarität zum Grundkanon der EU-Werte gehöre, daraus nun aber auch für Polen als EU-Mitglied eine neue Verantwortung erwachse: Polen müsse gemeinsam mit Deutschland und allen anderen Mitgliedern die Verantwortung für die Fortexistenz der EU als einer „Union der Demokratie, der Freiheit, des Friedens, der Vielfalt und der Toleranz“ übernehmen. Das ist eine Aufgabe, die Polens Regierung reizen könnte. Denn Verantwortung zu tragen, ist auch für Polens Elite neu. GABRIELE LESSER