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Archiv-Artikel

MERKEL IST DIE ERSTE EINER NEUEN RIEGE PRAGMATISCHER EUROPAPOLITIKER Hoffen auf bessere Zeiten

Der Finanzgipfel von Brüssel war sicher nicht der große Durchbruch für Europa. Visionen scheinen nicht deshalb wieder auf, weil sich 25 Chefs über ein paar Euromilliarden geeinigt haben. Doch nach monatelangem kleinlichem Gefeilsche um Berechnungsdetails, die selbst Experten nicht mehr verstehen, ging es ohnehin nur noch um die Alternative zwischen Weiterwursteln oder völligem Stillstand. In der Nacht zum Samstag haben sich alle fürs Weiterwursteln entschieden.

Für viele überraschend, wird der neuen Bundeskanzlerin nach ihrem ersten Gipfelauftritt zugetraut, Europa aus dem Tal der Tränen zu führen. Die Idee ist gar nicht so abwegig. Merkels Denken ist beeinflusst von Ziehvater Kohl und Parteifreund Juncker. Beide wollen mehr europäische Integration. Merkels eigener biografischer Hintergrund sorgt dafür, dass ihr die Bedeutung der Ostintegration niemand nahe bringen muss. Und schließlich spielt auch der praktische Aspekt eine Rolle, dass Deutschland in genau zwölf Monaten die Ratspräsidentschaft übernehmen wird.

Bis dahin dürfte sich die neue Bundesregierung so weit sortiert haben, dass Merkel ihre Energie auf die europäische Bühne richten kann. In London, Paris und Rom wird sie dann, mit etwas Glück, neue Ansprechpartner haben. Beide französischen Favoriten auf das Präsidentenamt, Sarkozy und de Villepin, haben Verständnis dafür erkennen lassen, dass der europäische Haushalt von Agrarsubventionen auf Innovationsförderung umgestellt werden muss. Sollte Romano Prodi im kommenden Sommer die Wahlen gewinnen, wären auch aus Rom wieder europapolitische Impulse zu erwarten. Denn Prodi hat sich schon in seiner Zeit als EU-Kommissionspräsident für eine stärkere politische Rolle der Union eingesetzt.

Tritt der denkbar günstigste Fall ein, könnte Merkel sogar den Konvent wieder zusammenrufen. Europas Verfassung könnte einen zweiten An-lauf nehmen. Doch bevor es so weit kommen kann, steht der Europäischen Union ein weiteres Jahr Funkstille bevor. Man wird in den kommenden Monaten eine gute Portion Optimismus brauchen, um das Licht am Ende des Tunnels nicht aus den Augen zu verlieren. DANIELA WEINGÄRTNER