MEDIEN: NACH DER ARBEITSLOSIGKEIT IST NUN DIE SPITZELEI EMPÖREND : Ein neuer Betroffenheitsjournalismus
Schön, dass Journalistinnen und Journalisten auf ganz breiter Front noch zur Entrüstung fähig sind. Und überraschend. Seit langem warnen vor Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat doch nur die immer gleichen, wenigen Verdächtigen.
Die breite Mehrheit der Leitartikler nimmt vieles gelassen hin: wenn deutsche Sicherheitsbehörden sich an Verhören in ausländischen Gefängnissen beteiligen, in denen Menschenrechte verletzt werden. Oder wenn Empfänger staatlicher Gelder ihren Anspruch auf Privatsphäre verlieren. Oder wenn immer mehr Telefone abgehört werden. Ist halt so. Nun aber sind Angehörige der eigenen Zunft zu Opfern geworden. Da flammt Empörung auf in den Redaktionsstuben.
Ja, die Bespitzelung von Journalisten durch den Auslandsgeheimdienst BND ist ein Skandal. Aber leider ein Skandal, der im Trend liegt. Seit die Politik soziale Sicherheit nicht mehr garantieren kann oder will, wird das Thema der inneren Sicherheit als staatlicher Legitimationsgrundlage immer beliebter. Strafverschärfungen, Terrorbekämpfung, Einsatz der Bundeswehr im Inneren und die Aufgaben der Nachrichtendienste nehmen in der öffentlichen Debatte breiten Raum ein. Strukturell ist das wenig erstaunlich. Interessant ist, wann Medien sich auf ihre Rolle als kritische Wächter besinnen.
Erinnerungen werden wach. Jahrelang wurde die Frage, was Arbeitslosen zugemutet werden kann, überwiegend erbarmungslos kommentiert. Es konnte immer noch ein bisschen mehr zugemutet werden. Dann kam die Zeitungskrise und viele Redakteure, die sich sicher gewähnt hatten, standen auf der Straße. Plötzlich waren statt kühler Analysen anrührende Erfahrungsberichte zu lesen. Inzwischen hat sich die Lage konsolidiert. Somit auch der Tenor in den Kommentarspalten.
Fast allen Leuten darf das Hemd näher sein als der Rock. Journalisten nicht. Sie üben einen privilegierten, von der Verfassung besonders geschützten Beruf aus. Fatal, wenn der Eindruck entsteht, sie agierten vor allem im eigenen Interesse. Gegenwärtig fällt es bei manchen Kollegen schwer, sich dieses Verdachts zu erwehren. BETTINA GAUS