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Archiv-Artikel

MARTIN UNFRIED über ÖKOSEX Sigmar Gabriel ist nicht meine Mutter

In der Klimafrage fehlen dem Bundesumweltminister und der Grünen-Spitze das Wichtigste: das Rock-’n’-Roll-Gefühl

Ich durfte gestern das Auto meiner Mutter lenken. Wir fuhren durch die Berge, rauf und runter von Hohenstaufen nach Wäschenbeuren. Die schwäbische Alb glühte in der Frühlingssonne. Meine Mutter schaute auf die Verbrauchsanzeige und glühte auch. „Drei Komma fünf in den Bergen“, seufzte sie. 3,5 Liter Diesel auf 100 km: Sie war glücklich, ich war glücklich. Mutter und Sohn im Herzen vereint.

Sie haben schon gemerkt: Ökosex ist heute besinnlich. Das ist nur logisch. Der Karneval des Klimaschutzes nähert sich dem Ende. Nun wissen alle alles. Wie es um uns steht, was zu tun ist. Wird jetzt alles gut?

Ökosex weiß: Leider nein. Es ist noch ein weiter Pfad von der Idee zur Tat, bis der Klimaschutz auch die Prinzessin der Herzen wird. Deshalb geht Ökosex konsequent seinen Weg weiter als Deutschlands erste Instanz in Sachen Herzensbildung. Es gilt weiter: Ohne Gefühle – kein solarer Effizienzrevolutionär! Ohne Emotion, nennen wir es Klimaschutzliebe, wird beispielsweise der Moderator Reinhold Beckmann niemals zum solaren Effizienzrevolutionär. Er möchte auch persönlich so gern was gegen die Klimakatastrophe tun! Doch leider konnte ihm in seiner Klimasendung der Umweltminister nur ein paar Energiespartipps geben. Gefühlsmäßig aber hatte er nix zu bieten. Wo doch jeder weiß, wie sehr Beckmann von Gefühlen lebt. Gabriels Problem bleibt: Er vibriert nicht. Er ist kein Rock ’n’ Roller der solaren Effizienzrevolution, er singt nur Playback. Noch fehlt ihm die emotionale Klimaintelligenz. Dazu ein Indikator: Sein Audi-Dienstwagen schluckt 13,3 Liter fossile Brennstoffe im Stadtverkehr (nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe). Das sind fast 10 Liter mehr als das Auto meiner Mutter. Und da geht es, wie Ökosex immer wieder betont, nicht um Moral. Es geht nicht um Verzicht. Es geht um Produktgefühle. So eine Kiste mit fossiler Energie macht einfach keinen Spaß. Das ist ein Gefühl. Aber Sigmar Gabriel kannte bisher dieses Gefühl nicht.

Gut könnte man sagen, das ist ein Sozialdemokrat. Aber Moment! Herr Bütikofer und Frau Roth von den Grünen hatten bis letzte Woche auch keine Flecken ins Gesicht gekriegt in ihren Dienst-BMWs bei einem fossilen Verbrauch von 7 bis 8 Litern. Sie dachten vermutlich, das seien sparsame Autos. Auch hier handelt es sich um fehlende emotionale Klimaintelligenz. Natürlich wissen sie, dass es beim Klimaschutz „schlicht um die Zukunft unserer Zivilisation geht“. Das müssen die nicht erst vom SPD-Staatssekretär Michael Müller erfahren. Aber selbst die grünen Spitzenpolitiker haben das nicht in Produktgefühle umgesetzt.

Deshalb haben sie auf die Kritik an den zwei Parteispitzen-BMWs auch so lustig reagiert. Sie steigen in einem Zweistufenplan auf Fahrzeuge um, die statt 180 ungefähr 120g/km ausstoßen. Das ist bemüht. Bleibt allerdings weit hinter der heutigen Fahrzeugflotte meiner Grünen-fernen Mutter zurück (85g/km). Es bleibt auch weit hinter der Weisheit der eigenen Partei zurück. „Taten statt warten“, sagt die Oppositionspartei zur Regierung. Komplette Energiewende statt „ein bisschen Energiesparen“.

Ich habe den Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell angerufen. Es ist keine Frage, dass Fell auf Kurzstrecken seit Jahren ein supereffizientes Elektro-Twike fährt. Als Auto für die Wahlkreisarbeit hat er einen pflanzenölbetriebenen Spardiesel, der in Richtung Null-CO2-Emission geht. Selbstredend lässt er in sein Haus keine fossilen Brennstoffe. Und dass er Strom selbst und erneuerbar produziert mit Photovoltaik und in seinem Blockheizkraftwerk, das dürfte sich von selbst verstehen.

Natürlich langweilt ihn die Diskussion der letzten Tage: ob so ein fossiles Steinzeitauto nun 185g/km oder 140 g/km CO2 ausstößt. Denn natürlich, sagt Hans-Josef-Fell, können wir heute schon rein in die echte Null-Emissions-Strategie. Das klingt irgendwie anders als bei Gabriel und Bütikofer. Ich glaube, Fell ist ein Rock ’n’ Roller auf der Höhe der Zeit.

MUSIKTIPP: Hören Sie zum Abschied von RWE-Vorstandschef Harry Roels die Ökosex-Single „Harriwidertschi RWE“

Ist „If I Fell“ Eco-Rock-’n’-Roll? kolumne@taz.de Montag: Susanne Lang trifft DIE ANDEREN