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Archiv-Artikel

MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER Der Storch war da

Es ist so weit: Mein Freund und ich bekommen Nachwuchs – und leisten unseren Beitrag zur U.v.d.L.-Gebärquote

Der Bauch wölbt sich schon deutlich sichtbar, dennoch kann man sich nicht vorstellen, dass sich unter diesem kleinen Hügel gleich zwei Jungs verbergen. Eineiige Zwillinge! Schon in sechs Monaten werden sie das Licht der Mark Brandenburg erblicken. Wahnsinn.

Bei uns einziehen werden sie allerdings erst im nächsten Jahr, bis dahin muss noch viel geschraubt und gebaut werden. Keine Angst: Wir basteln nicht an einer künstlichen Gebärmutter, lediglich am Dachgeschoss unseres Hauses, das ausgebaut werden muss. Die Zwillinge befinden sich im Uterus der Nichte meines Freundes – und sie, ihr Freund und ihr fünfjähriger Sohn haben sich entschlossen, dem Prenzlauer Berg den Rücken zuzukehren und aufs Land zu ziehen. In unser Haus. Wir hingegen machen Platz und ziehen in die Ruine von nebenan. Die Welt gehört schließlich den Kindern.

Auf unsere kleine Welt bezogen, werden es derer gleich drei sein, in der Familie meines Freundes hatte man noch nie Schwierigkeiten damit, die Uschi-v.d.L.-Gebärquote zu erfüllen, auch wenn bislang noch kein einziges Akademikerkind darunter ist. Der kleine Florian ist mit seinen fünf Jahren jedenfalls ein sehr aufgewecktes Kerlchen und schon jetzt handwerklich begabt, mein Freund hatte große Schwierigkeiten, ihn davon abzuhalten, selbst (Patsche-)Hand an die diversen Baustellen zu legen. Doch seine bisher brachliegenden pädagogischen Fähigkeiten deuteten sich schon beim gestrigen Antrittsbesuch deutlich an. Wenn auch sein anonkeln weitgehend auf taube Ohren stieß.

Bei Kartoffelsuppe und Landbrot haben wir gestern schon mal protestantische Großfamilie geübt, „zwei sind geladen, fünf sind gekommen, gieß Wasser zu Suppe, heiß alle willkommen“. So ungefähr, nur ohne Beten – vorher hatte ich noch schnell die Männer Aktuell hinter dem Klavier versteckt. Im Esszimmer hatte früher die Großmutter gewohnt, genau genommen: die Urururgroßmutter des kleinen Florian, der nun, genau wie sie früher, die Suppe nicht aufessen wollte. Mit ihrem Ableben war unserem generationsübergreifenden Wohnprojekt eine Ebene abhanden gekommen, nun schließt sich die Formation eben vom unteren Ende der Generationenzwiebel. Das Leben geht weiter, auch in der kleinen, trostlosen Ackerbürgerstadt, der man vor kurzem noch die einzige Schule schließen wollte. Stattdessen werden eifrig Pläne geschmiedet. Wo kommt die Rutsche hin? In welches Zimmer kommen die Zwillinge? Werden sich die beiden Familienkatzen mit unseren verstehen?

Eigentlich hatten wir uns bloß – ganz hedonistisch – über die endlich eingetroffenen, den Sommer bringenden vier (!) Schwalben gefreut. Das Storchenpaar, das auf dem Schornstein in unserer Straße nistet und mit den Schnäbeln klappert, hatten wir nicht weiter beachtet. Prompt melden sich aus Berlin kritische Stimmen: „Was wollt ihr denn mit den Heten? Dann ist ja wohl Schluss mit draußen grillen und Lärm machen, von wegen das Kind schläft und so.“

Oops. Hatten wir vielleicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht? Liefen wir Gefahr, Stichwort heterosexuelle Zwangsmatrix, im Verlauf der Gebärfront zwischen die Linien zu geraten? Planiert von Zwillingskinderwagen, eingeebnet von bis an den Rand mit Windeln gefüllten Familienkutschen?

Bange machen gilt nicht. Wenn die Heten so unerschrocken sind, mitsamt ihrer Bagage bei uns einzuziehen, dann wären Berührungsängste unsererseits doch wohl nicht angebracht, oder? So gaben wir denn dem jungen Glück nach seinem Antrittsbesuch endgültig unseren Segen: „Ich bin tolerant gegenüber Heteros“, sagte ich ihnen zum Abschied. Mein Freund bestand lediglich darauf, dass im Haus kein Laminatboden verlegt wird. Die Schrankwände werden wir schon verkraften.

Als die Familie unter regem Winken um die nächste Straßenecke gebogen war, herrschte geradezu unheimliche – oder doch himmlische? – Ruhe. Mein Freund und ich standen Arm in Arm vor der kleinen Ruine, die bald schon unser zu Hause sein soll. Und freuten uns.

MARTIN REICHERT

LANDMÄNNERFragen zur Toleranz? kolumne@taz.de MORGEN: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE