■ MARLENE DIETRICH IST TOT: Unser Gewissen auf zwei langen Beinen
Marlene Dietrich, die Schauspielerin und Sängerin, ist am gestrigen Nachmittag in ihrer Wohnung in der Avenue Montaigne in Paris gestorben. Als Maria Magdalena von Losch war sie am 27. Dezember 1901 in Berlin geboren worden. Sie studierte bei Max Reinhardt Schauspielerei und kam als Zwanzigjährige zum Film. 1929 kam Josef von Sternberg nach Berlin, um den Blauen Engel nach dem Roman von Heinrich Mann zu drehen. In der Rolle der „feschen Lola“ spielte sie an der Seite von Emil Jannings (als bigotter Professor Unrat). Auf einem Faß sitzend, sang sie den Song „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“; ihre Haltung gab der Weimarer Republik reichlich Gelegenheit, ihre langen Beine zu bewundern. Der Blaue Engel ist einer der berühmtesten Filme, die jemals in den damaligen UFA-Studios gedreht worden sind. Am Premieretag, dem 31. April 1930, verließ sie Berlin, um mit von Sternberg zu arbeiten, kehrte kurz zurück und verließ Deutschland 1932 endgültig. Marlene Dietrich nahm 1937 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und reiste zur Betreuung amerikanischer Truppen während des Zweiten Weltkriegs nach Europa. In dieser Phase erarbeitete sie sich ihre „One-Woman-Show“, im Vergleich zu der sie die Arbeit am Film als „Kinderspiel“ bezeichnet hat. Sie unterstützte antifaschistische Organisationen und half jüdischen Emigranten.
In Hollywood hat Dietrich ganz groß Karriere gemacht, die ersten sechs Filme drehte sie mit von Sternberg: Entehrt (1931), Shanghai- Express und Blonde Venus (1932). Nach der Kriegspause hatte sie ihr Film-Comeback in Billy Wilders zynischer Berlin-Komödie A Foreign Affair. 1953 zog sie als Chansonsängerin erhebliche Aufmerksamkeit auf sich. Sie sang drei Wochen vor ausverkauftem Haus in Las Vegas. Marlene hatte den Ruf eines Vamps, aber sie war eine eher knöcherne Erscheinung, eine wie eine Heilige inszenierte Figur mit rauchiger Stimme. In Deutschland war sie nach dem Krieg so etwas wie das Gewissen des Exils. Mehrfache Angebote, nach Deutschland zurückzukommen, schlug sie aus. Die Karriere als Sängerin war 1975 fast zu Ende, als sie sich den Oberschenkel brach. Eine Gala-Show, 1973 aufgezeichnet und drei Jahre später in Deutschland gesendet, bedeutet ihren Abschied von der Öffentlichkeit. 1979 zog sie nach Paris zurück, verweigerte sich allen Interviewwünschen und Fototerminen: „Ich wurde zu Tode fotografiert.“
Die einzigen Interviews, die sie gab, wurden schriftlich geführt. Selbst Maximilian Schell, der 1983 ein Filmportrait über sie drehte, mußte sich mit einer Tonaufzeichnung begnügen. Nach dem Fall der Mauer meldete sich die gebürtige Berlinerin noch einmal zu Wort: bei der Silvesterfeier in den DEFA-Studios in Babelsberg sprach sie über Telefon mit den Gästen.
Marlene Dietrich war ein erotischer Mythos, kühler und distanzierter als die Monroe, und — wie es bis gestern schien — unsterblich. In einem Interview sagte sie, die schönste Zeit ihres Lebens sei zu der Geburt ihrer Tochter Maria gewesen. Es schien, als sei sie, die Offizierstochter, in der zweiten Hälfte ihres Lebens gegen den Ruhm der ersten zu Felde gezogen: Sie sei weder Vamp noch Mythos gewesen, und habe — getreu ihrer preußischen Erziehung — nur immer ihre Pflicht getan.
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