MAILPROGRAMM : All fucked up
Meine E-Mail funktionierte nicht mehr. Auch die Homepage meines Internet-Providers wollte nichts mehr von mir wissen. Ich war sauer, enttäuscht und genervt. Seit zwölf Jahren bin ich bei Snafu. Damals hatte ich den Internetprovider gewählt, weil mir das Kürzel – „Situation normal – all fucked up“ – so gut gefallen hatte. Die ersten Jahre hatte ich als Journalist einen Umsonstaccount, dann sollte ich pro Monat 6,50 zahlen. Seitdem bezahle ich meist verspätet, finde es aber immer noch schick, eine Snafu-Adresse zu haben.
Entnervt rief ich bei der Hotline an. Ein höflicher Mitarbeiter erklärte, man habe mich abgeschaltet, da ich die letzten vier Monatsrechnungen nicht bezahlt habe und die schriftliche Zahlungsaufforderung zurückgekommen sei. Ich hatte tatsächlich vergessen zu zahlen und auch meinen Umzug nicht gemeldet. Ich schrieb eine Überweisung, kopierte und faxte sie und steckte sie in den Briefkasten.
Es war schön, ohne E-Mail zu sein. Entschleunigung, wie angenehm. Bis mein bescheuertes Geld auf dem bescheuerten Konto von Snafu sein würde und die meinen bescheuerten Account wieder freischalten würden, würden drei Tage vergehen. Toll! Mein Arbeiten würde sich in dieser Zeit sicher verbessern. Die E-Mail-nachguck-Arbeitsunterbrechungen würden wegfallen, alles würde in einem besseren Flow sein. Paar Leute würden wohl sauer sein, was soll’s.
So die Theorie. In der Praxis öffnete ich ständig mein Mailprogramm, um zu sehen, ob es nicht vielleicht doch wieder funktionierte, und bekam depressive Wutanfälle, weil mein Verstärker auch noch kaputtging und weil vor dem Fenster ein Hausmeister mit großer Unverschämtheit schon seit Stunden Rasen mähte. Immer wieder ließ er seine Höllenmaschine aufheulen. Er wollte mich fertigmachen. Ich fantasierte von Schusswaffen. DETLEF KUHLBRODT