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Lyrik Ein Sammelband lädt dazu ein, die iranische Exilautorin Granaz Moussavi zu entdeckenSteinigung

von Kurt Scharf

Die Lyrikerin und Cineastin Granaz Moussavi lebt in Australien und gehört zu den faszinierendsten iranischen Exilautor-Innen. Wegen eines zunächst zugelassenen, aber 2011 nachträglich beanstandeten Spielfilms wagt sie sich derzeit nicht zurück in ihr Vaterland, ist ihrer Heimat aber eng verbunden. So eng, dass sich ihre Lyrik ausschließlich auf diese bezieht; sie thematisiert das Exil nicht einmal. Der jetzt erschienene zweisprachige Band enthält Lyrik der vergangenen zwanzig Jahre aus drei verschiedenen ihrer Bücher. Der Titel „Gesänge einer verbotenen Frau“ bezieht sich auf Lieder der zur Schahzeit sehr populären Popsängerin Gugusch, die in der Islamischen Republik Iran als dekadent geächtet wurde. Er darf aber auch als Anspielung darauf gelesen werden, wie sich die Dichterin selbst sieht.

Schon die ersten beiden, in Iran publizierten Gedichtbände sprechen überraschend offen von den Gefühlen einer jungen Frau, ihrem Widerspruch gegen das Patriarchat und die von Staats wegen verordnete religiöse Moral. So schreibt sie in „Sünde“: „Während ein wenig weiter weg/ die Welt daraus besteht/ dass Eva Adam den Apfel gibt/ Besteht eben hier/ die Sünde noch daraus/ dass ich in deinen Armen ruhig werde“, fügt dann aber überraschend eine weitere Bedeutungsebene hinzu: „und sage, wie müde ich bin/ zu hören, wie der Wald Axthieb/ für Axthieb/ stirbt“.

„Die Erde bliebund eine Arena /um neben denSteinen zu sterben“

Granaz Moussavi

Eine recht ungewöhnliche Liebeserklärung enthält „Das letzte Ticket“: „Lauf in mir/ Draußen/ wird die Ampel niemals grün“. Bedenkt man, dass diese Farbe nicht nur die Fahrt freigibt, sondern auch die einer politischen Protestbewegung sowie die des Islams ist, ahnt man, wie vielschichtig ihre Verse sind. Neben der erotischen Bedeutung entdeckt man die mit ihr verbundene politische Dimension; man kann den Vers (wie in der Überlieferung der Sufis) auch mystisch-religiös und die sinnliche Liebe als Symbol für die Gottesliebe interpretieren. Vieldeutigkeit und ein Spiel auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig gehört seit jeher zu den Stärken iranischer Verskunst.

Nicht weniger ungewöhnlich ist folgendes Gedicht, das weder das Glück noch den Schmerz der Liebenden zum Ausdruck bringt, sondern Zorn und Ratlosigkeit gegenüber dem Partner und den eigenen Gefühlen: „Ich häute mich/ In der Kurzschlusssaison der Verbindungsdrähte/ zucken Blitze aus meinen Augen/ Und der Park deines Körpers macht keinen Buchsbaum mehr aus mir// In den unbekannten Linien deiner Handfläche/ zittere ich wie Espenlaub/ Mein Herz/ verirrt/ verirrter als ein deplatziertes Insekt/ geht nebenher am Rand.“

Mit ihren ersten beiden Lyrikbänden steht Moussavi in der Tradition der größten aller iranischen Dichterinnen, Forugh Farrochsād; deutlicher politisch wird sie im dritten, aus dem diese Auswahl geschöpft hat und der wohl deswegen in Iran nicht veröffentlich worden ist. Er erinnert an einen der bekanntesten iranischen Dichter der Neuzeit: das Haupt der Schule der sozialen Symbolisten, Ahmad Schāmlu. Diesem Buch ist „Steinigung“ entnommen: „Die Erde blieb und eine Arena/ um neben den Steinen zu sterben// Wurf um Wurf zerrann die Frau/ An ihren Schläfen Granatäpfel-Platzen. Plötzlich/ blieb ihr von Polstern und Laken/ nur im Gedächtnis Rhabarbergeschmack.“ Indessen bleibt sie nicht beim Stil ihrer Vorbilder stehen, sondern entwickelt darüber hinaus ihre eigene Ausdrucksweise.

Die recht freie Übersetzung vermittelt dem Leser zumindest einen Eindruck von der Bandbreite des dichterischen Ausdrucks, der von neumodischen Vulgarismen und dem Vokabular des HipHop über die Volkssprache bis in literarische Höhen und zu religiösen Zitaten reicht. Wer allerdings des Persischen mächtig ist, wird noch viele weitere, sehr reizvolle Züge entdecken: Zitate anderer Dichter, dichterischen Schmuck wie Binnen- und Stabreime, Wortspiele.

Auch die politischen und soziokulturellen Anspielungen sowie Kritik an den Herrschenden und Protest gegen die historische Entwicklung sind nicht leicht zu entschlüsseln; aber dafür sind die am Schluss des Buches angefügten Anmerkungen hilfreich.

Granaz Moussavi: „Gesänge einer verbotenen Frau“. A.d. Farsi von Isabel Stümpel. Leip­ziger Literaturverlag, 19,95 Euro

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