■ Luft schwarz, Wasser schwarz, Behörden im Dunkel: Bürger beim Fegen
Murphys Gesetz besagt, daß alles, was schiefgehen kann, im Zweifelsfall auch schiefgeht. So auch diesmal im nordrhein-westfälischen Schwelm. Dort brannten am Sonntag die Lagerhallen einer großen Spedition eines noch größeren Konzerns lichterloh, eine schwarze Rauchwolke hüllte die Kreisstadt und den Osten des benachbarten Wuppertal ein, das Löschwasser wird nicht abgefangen, die Flüsse Schwelme und Wupper tragen zunächst eine Schaumkrone und werden dann schwarz. Die Fische schwimmen mit dem Bauch nach oben. Ein Unfallszenario, wie es im Buche steht.
Das Szenario ist gerade in Nordrhein-Westfalen nicht unvertraut: Lengerich hieß die Kleinstadt im Münsterland, in der vor nicht einmal einem Jahr Plastikberge sich in schwarzen Qualm auflösten, der die Bevölkerung in die Häuser trieb. Damals wie heute: Türen und Fenster schließen, weil die schwarze Wolke schließlich gefährlich sein könnte.
Doch die Behörden in NRW haben gelernt: Keinesfalls dürfen nach einem gefährlichen Großbrand wie in Lengerich Bürgerinnen und Bürger kopfscheu gemacht werden. Allein der Verdacht, daß ein solches Feuer mit einer langfristigen Gefährdung der Gesundheit in der Umgebung einhergehen könnte, ist zu meiden. Die Losung: Wo Behördenvertreter das Wort Dioxin nicht in den Mund nehmen, entsteht keine Panik.
Wie aber vermeiden, daß man später eines Schlimmeren belehrt wird, der Verharmlosung geziehen wird? Auch dafür haben die Behörden ein probates Mittel gefunden. Es wird einfach nicht gemessen, wie gefährlich denn das ist, was da durch die Luft fliegt und den Fluß hinunterschwimmt, jedenfalls bis das Schlimmste vorüber ist. Das Landesamt für Immissionsschutz mit seinem „Soforteinsatzwagen“ macht sich erst geschlagene acht Stunden nach Beginn des Brandes auf die 30-Kilometer-Strecke zum Brandort. Erleichtert vermeldet man nur noch geringe Chlor- Konzentrationen in der Luft – was Wunder, hat die Feuerwehr den Brand doch inzwischen unter Kontrolle. Auch das chemische Untersuchungsamt im benachbarten Wuppertal wird am Sonntag morgen gar nicht erst aktiviert. Weder zur Messung der Wolke in Wuppertal noch etwa zur Amtshilfe am Brandort in Schwelm. Denn: Wo man nicht mißt, da ist auch nichts.
Statt „Panikmache“ (Behördenjargon) werden die Bürgerinnen und Bürger im Industrieland NRW zum entschlossenen Zupacken aufgefordert: Der Leiter des Wuppertaler Umweltamtes regt an, das bißchen Ruß in Wuppertals Osten einfach zusammenzufegen und – nur mit Handschuhen selbstverständlich –, in Plastiktüten verpackt, in den Müll zu geben. Das sei immer noch besser, als die unbekannten Schadstoffe in den Boden gelangen zu lassen. Darauf ist nicht einmal die Hoechst AG verfallen. NRW: ein starkes Stück Deutschland. Hermann-Josef Tenhagen
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