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wortwechselLügen haben lange Beine.Danke, Euer Ehren

Der Rückzug: Ist an Frauke Brosius-Gersdorf ein rechtes Exempel gegen jedes Recht statuiert worden, dass Hetzkampagnen groß macht und parlamentarische Regeln klein?

Karlsruhe, Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts: Adlerrelief des Bildhauers Hans Kindermann Foto: Fabian von Poser/imago

„Schwarz-Rot in der Krise: Der Brosius-Gersdorf-Rückzug löst die Probleme nicht“, taz vom 9. 8. 25

Schmerzhafter Prozeß

Die Justiz ist für Rechtsprechung, die Auslegung und Anwendung bestehender Gesetze zuständig – nicht für deren Schaffung. Wenn eine Richterin oder ein Richter eine persönliche Meinung vertritt, die vom geltenden Recht abweicht, ist das ihr oder sein gutes Recht. Dennoch sind Urteile nach der bestehenden Rechtslage zu fällen. Die vermeintlichen „Gewissensgründe“ hinter dem Boykott haben ein deutliches G’schmäckle. Das beschädigt nicht das Verfassungsgericht, sondern die Abgeordneten und damit den Bundestag. Hier wird ein kontrovers diskutiertes gesellschaftliches Thema als Vorwand genutzt, um eine einzelne Person zu diskreditieren und ihr die Übernahme eines hohen Amtes unmöglich zu machen. Früher waren „die Gedanken frei“, heute jedoch werden sie aufgespießt und bestraft.

H. Hallwachs, Hamburg

Je mehr man nach der gegen sie inszenierten Rufmordkampagne von Frauke Brosius-Gersdorf hört, desto deutlicher wird, was für eine hervorragende Verfassungsrichterin wir in ihr gehabt hätten. Martin Heberlein, Würzburg

Frauke Brosius-Gersdorf kandidiert nicht mehr … Mit ihrem Rückzug zeigt sie mehr Größe, Konsequenz und demokratisches Verantwortungsbewusstsein als alle Verantwortlichen der C-Parteien zusammen. Ein starkes Signal. Ich bin gespannt, was die größere Regierungspartei daraus macht. Noch mehr Nähe zur AfD?

Maria Gubisch, Gelnhausen

Jetzt haben es die Christen im Bundestag, deren Anführer Jens Spahn ist, geschafft. Frauke Brosius Gersdorf hat hingeschmissen. Dieser Frau wird unterstellt, nicht die Werte der Christen im Bundestag zu vertreten. So etwas hat am BVerfG nichts zu suchen. Diese Apologeten des Guten haben es nicht gemerkt, dass in der Vergangenheit das BVerfG Entscheidungen mit Mehrheit traf, aber den Minderheiten auch Gelegenheit gegeben wurde, ihre abweichende Meinung im Kontext der Mehrheitsmeinung zu begründen. In der Jurisprudenz ist Meinungsstreit normal und nicht die Ausnahme. Aber das wollen die Gutmenschen der CDU/CSU nicht. Von Trump lernen, so heißt deren neuste Devise zur Meinungsvielfalt. Die Scheinheiligkeit der CDU ist nicht zu ertragen.

Wolfgang Rust, Schönberg

Ich bin erschüttert, dass es diese Bande von Mobbern und Lügenbaronen geschafft hat, Frau Brosius-Gersdorf zum Rückzug zu treiben. Wenn das Schule machen sollte, können die antidemokratischen Kräfte in Zukunft jede unliebsame Kandidatur verhindern. Irgendwann haben wir dann Zustände, wie in den USA.

C. Kornas

Ich glaube, hier spielt schon auch eine Politik der Anpassung an die Trump-­Administration und die Pläne der Heritage Foundation mit ihrem „Project 2025“ eine Rolle. Schwächung von demokratischen Institutionen, Zusammenarbeit mit christlichen Fundamentalisten und rechten Gruppen. Das passt ins Gesamtbild.

Kommentar taz Forum

Das Bundesverfassungsgericht hat einen wesentlich geringeren Einfluss auf das Abtreibungsthema als der Supreme Court in den USA, weil es ein klares Bundesgesetz gibt und ergänzend dazu klare Grundrechtsbestimmungen im Grundgesetz. Kommentar taz Forum

Verzerrung der Fakten

„Rückzug von Brosius-Gersdorf: Es ist die Stunde der Antifeministen“,

taz vom 8. 8. 25

Die Verzerrung der Faktenlage legt nahe, dass das Thema Abtreibung eine Stellvertreterfunktion einnimmt, um eine machtpolitische Einflussnahme auf bestehende gesellschaftliche, geschlechterpolitische Ungleichheiten zu überdecken.

Zu offensichtlich ist der Rückzug auf das Recht einer Gewissensentscheidung, um patriarchale Grundüberzeugungen zu legitimieren. Schon zu Zeiten von Aristoteles war die Fähigkeit, schwanger zu werden, ein Stachel im geschlechterhierarchischen Gefüge.

Männliche Schöpfungsmythen, die in der Gebärmutter ein „Gefäß“, einen passiven Nährboden für „seinen“ Samen sahen, begründeten den Zugriff auf das Ungeborene und die damit verbundene Inbesitznahme des Mutterkörpers. So entstand eine ethisch-juridische Ordnung, Frauen nicht nur das Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu verwehren, sondern ihre geistige und psychische Zurechnungsfähigkeit außer Kraft zu setzen. Auch heute noch spielt die Annahme einer eingeschränkten Zurechnungs- und Entscheidungsfähigkeit eine Rolle, wenn der Schwangeren die Fähigkeit abgesprochen wird, verantwortungsvoll und selbstständig über ihre Schwangerschaft beziehungsweise Abtreibung zu entscheiden.

Der begründete Verdacht, dass das Recht auf eine Gewissensentscheidung genutzt wurde, um patriarchale Grundüberzeugungen ideologisch zu rechtfertigen, erhärtet sich durch die billigende Inkaufnahme einer persönlichen Diskreditierung von Frauke Brosius-Gersdorf. Wie wäre die Debatte gelaufen, wenn es sich um einen männlichen Kandidaten gehandelt hätte?

Helga Krüger-Kirn, Marburg

Illiberale bei ihrer Wandlung zu Faschisten sind etwas anderes als Antifeministen! Ja, Frauke Brosius-Gersdorf ist auch eine Frau. Sie ist im Räderwerk politischer Machtrangeleien geschreddert worden. Das konnte sie so nicht kommen sehen, weil ihr der Posten am Bundesverfassungsgericht sogar von ihren Widersachern zugesagt worden war. Heißt es. Sie tut mir leid. Aber Hand aufs Herz: Es hätte ebenso gut ein Peter oder Karl unter die Räder kommen können. Den Antifeminismus sollte man in diesem Fall nicht bemühen. Er lenkt nur gefährlich ab: Die Illiberalen haben einen Sieg errungen und mausern sich zu handfesten Faschisten. Trump macht vor, wie es geht. Roswitha Halverscheid, St. Léger sur Vouzance

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