: Lübeck
■ betr.: „Öffentlichkeit wird instru mentalisiert“, taz vom 25. 11. 96
Die Kriminologin Monika Frommel über den Lübecker Prozeß: Jugendliche, die man der rechtsradikalen Szene zuordnet, kann man nicht einfach als Verdächtige darstellen. OK. Aber, diese Jugendlichen hatten Sengspuren im Gesicht, über deren Ursache sie falsche Angaben machten – die angegebenen Zeitpunkte lagen zum Teil zu weit zurück. Würde in anderen Fällen einem solchen Umstand nicht nachgegangen werden? Und warum hört man nichts mehr über die Todesursache des Schwarzen, der tot im Hausflur lag und nach Obduktionsbefunden vor Ausbruch des Brandes gestorben sein muß? Hat sein Tod nichts mit dem Brand zu tun?
Es wäre doch ein großer Zufall, daß in derselben Nacht ein Hausbewohner im Flur zu Tode kommt und außerdem das Haus abbrennt. Nach Zeugenaussagen ist der Schwarze in dieser Nacht ausgewesen. Könnte es nicht sein, daß die Jugendlichen ihn auf der Straße angegriffen haben, ihn dann bis ins Haus verfolgten und dort erschlugen? Das wäre eine Möglichkeit, wie Außenstehende auch ohne geöffnetes Fenster ins Haus gelangt sein könnten. Vielleicht wollten sie die Tat mit dem Feuer vertuschen und besorgten sich dafür in einem gestohlenen Auto Benzin? Ein Steinchen in der Tür hielt den Zugang frei? Der Zeitpunkt des Feuerausbruchs wäre dann etwas später, aber das ist im Prozeß ja auch schon diskutiert worden.
[...] Ich erwarte in dem Prozeß Auskunft über die Todesursache des Schwarzen und die Sengspuren in den Gesichtern der Rechtsradikalen. [...] Linde Peters, München
Aus anderen Zusammenhängen weiß ich, daß Monika Frommel von dem Verdacht weit entfernt ist, das geistige Umfeld jener zu bestellen, die von der Verteidigung von Safwan Eid und dem antirassistischen UnterstützerInnenkreis für den Lübecker Brandanschlag verantwortlich gemacht werden. Auch Jahre der Arbeit an einer der konservativsten deutschen Rechtsfakultäten in Kiel dürften an den fortschrittlichen Grundpositionen von Monika Frommel nichts geändert haben – und doch drängt sich angesichts ihrer Äußerungen zur Verteidigungsstrategie der Anwältinnen von Safwan Eid die Frage auf, ob sie hier nicht ungewollt Anleihen im konkreten Ordnungsdenken der sogenannten „Kieler Schule“ des NS-Strafrechts gezeichnet hat. Dort war seinerzeit programmatisch – etwa in solchen Werken wie „Autoritärese Strafrecht“ (Dahm/ Schaffstein) – vorgedacht worden, was dann zumindest ansatzweise in nationalsozialistische Rechtsform und faschistische Justizpraxis umgesetzt wurde. Dies betraf auch die Rollenverteilung für die an einem Strafverfahren Beteiligten, von denen allesamt erwartet wurde, daß sie sich organisch in ein System „höherer“, also völkischer Zwecke einzugliedern hatten – konsequenterweise wurde die Notwendigkeit einer Verteidigung überhaupt in Frage gestellt (von Schaffstein für das Jugendstrafrecht übrigens noch bis in die 70er Jahre hinein).
Hier nun droht sich der Kreis zu schließen, besieht man sich die Äußerungen Monika Frommels aus der Nähe: So soll sich die Anwältin als „Organ der Rechtspflege“ doch bitte zurückhalten, anstatt den Verdacht und die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden auf andere Verdächtige zu lenken, die sich von dem eigenen Mandanten vor allem durch eines unterscheiden: sie stehen nicht vor Gericht. Ich meine, es ist die Pflicht einer parteilichen Verteidigung, dies anzuprangern – Monika Frommel aber erhebt den professoralen Zeigefinger: „Das tut ein Organ der Rechtspflege nicht.“
Im übrigen scheint dieses Organ der Rechtspflege sowieso überflüssig zu sein, denn es ist „normal, daß der Angeschuldigte zu einem bestimmten Zeitpunkt aus der Untersuchungshaft entlassen wird“ – wozu also noch anwaltlichen Beistand...? Schlimmer noch: Eine engagierte Verteidigung schadet letztlich den Interessen des eigenen Mandanten, denn ohne die „schweren Beschuldigungen“ der Anwältinnen Eids hätte die Justiz das Verfahren lägnst eingestellt oder würden ihn gar freisprechen, aber nun ... wird zumindest länger verhandelt, als es ohne Verteidigung nötig gewesen wäre.
Man mag im Hinblick auf Solidaritätsarbeit und Verteidigungsstrategie für Safwan Eid zu einer abweichenden politischen Bewertung gelangen, und in der Tat könnte es sich als fatal erweisen, frühzeitig von der Unschuld Eids eben so überzeugt gewesen zu sein wie von der Schuld der vier Grevesmühlener (da tut sich die Antifa-Falle auf, in der sich eine zynische Enttäuschung breitzumachen droht, wenn der Brand in einem Asylbewerberheim nicht auf dem Konto von Neonazis verbucht werden kann) – aber die Angriffe von Monika Frommel gegen die Anwältinnen gehen deutlich über das Ziel hinaus: Das tut ein „Organ der Rechtswissenschaft“ nicht. Dr. jur. Helmut Pollähne,
Bielefeld
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