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■ Lübeck: Nur, wo Zensur draufsteht, ist auch Zensur drinDemokratie lernen mit den Grünen

Dürfen Lübecker Buchhändler Lesungen veranstalten? Dürfen sie Wiglaf Droste und Gerhard Henschel aus ihrem Buch „Der Barbier von Bebra“ vortragen lassen?

Nein. „Das gehört verboten“, hieß vor zwei Tagen in Lübeck. Diesmal ist jedoch nicht Vera Lengsfeld mit von der Partie oder Konrad Weiß; auch geht es nicht um die Frage, ob Kriminalromane als „literarische Anleitung zum Mord an Andersdenkenden“ zu gelten haben, wenn Bürgerrechtler zum Schweigen gebracht werden.

Verboten werden sollte die Lesung der beiden taz-Autoren, weil nimmermüde Kleinstarbeitsgruppen beleidigter LeberwürstInnen sich hauptberuflich damit beschäftigten, Wiglaf Droste notorischen Frauenhaß nachweisen zu wollen. Neu ist das nicht, und bis heute ist das auch nicht gelungen – nicht einmal beim Rückwärtslesen seiner Texte. Doch genausowenig, wie die katholische Kirche die Hölle abschaffen würde, will man in Wider-den-Droste Kreisen auf den eigenen, selbstgebastelten Antichristen der Neuzeit verzichten.

Lästig, aber eben kaum verwunderlich war also, daß anläßlich des gemeinsamen Auftritts von Gerhard Henschel und Wiglaf Droste in Lübeck wieder einmal Erklärungen entworfen und an einschlägige Stellen zum Unterzeichnen verteilt wurden. „Keine Lesung mit Wiglaf Droste im Pressezentrum!“ hieß es, und vor allem: „Wir fordern das Lübecker Pressezentrum nachdrücklich auf, die Veranstaltung mit dem Frauenhasser, Verharmloser sexueller Gewalt und – schlicht und ergreifend – sexistischen Kotzbrocken, Wiglaf Droste, abzusagen!“ Und wie es Buchhändlern ergehen sollte, die diese Aufforderung mißachteten, las sich so: „In Kassel kippten Frauen und Männer Scheiße vor seinen Lesungsort.“

Das Auftrittsverbot unter Strafandrohung landete auch beim Lübecker Bündnis 90/Grüne. Hier beschloß der Parteivorstand, das Anliegen der Zensoren zu unterstützen. „Wir finden, daß man Wiglaf Droste kein Forum geben soll“, erklärte hierzu Vorstandsmitglied Achim Stenzel auf Nachfrage der taz. Die „Späße und Schmähungen“ des Autors gehörten „nicht an die Öffentlichkeit“. Befürworten die Bündnisgrünen also ein Auftrittsverbot? Das könne man so sehen, sagt Achim Stenzel, korrigiert dann aber: „Wir appellieren eigentlich eher an den Buchhändler, sich das noch einmal zu überlegen.“

Angesprochen auf die im Flugblatt angedrohten Konsequenzen, fügt der grüne Vorstand hinzu, im übrigen habe er, Achim Stenzel, im Text auch „keine Aufforderung zur Gewalt“ entdeckt. Auch hätte er zwar selber „keine Probleme, den Buchhändler aufzufordern, Drostes Bücher nicht mehr zu verkaufen.“ Aber deshalb Steine schmeißen, nein, das würde er nicht. Falls das vorkäme, würde man sich distanzieren. „Das ist nicht meine Sache.“

Immerhin: Achim Stenzel ist Politiker, ein vermutlich halbbwegs gebildeter Mensch. Er hat Texte von Wiglaf Droste gelesen und will in ihnen „Humor, der die Grenzen des Erträglichen überschreitet“ aufgespürt haben. Von daher, räumt er ein, wisse er, daß der im Flugblatt beschriebene Aktionismus von Kassel als Drohung gegen den Veranstalter verstanden werden kann. Gefragt, ob also er und seine Fraktionskollegen Gewaltanwendung in Kauf nähmen, um sich später davon distanzieren zu können, antwortet Achim Stenzel: „Ja, das ist doch schön, oder?“ Das sei sicher problematisch, aber das „Risiko ist mir die Sache wert.“

Nein, Achim Stenzel ist gewaltfrei und schmeißt keine Steine. Aber er weiß, wen er beauftragen kann, wenn es sein muß. Carola Rönneburg

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