Lotters Transformator : Die neue A-Klasse
Die Industriegesellschaft gibt es nicht mehr. Und daher auch nicht die alte Arbeiterklasse, sondern eine neue. Sie definiert sich nicht über harte Arbeit, sondern über Wissen. Die Politik ignoriert das.

Keep you doped with religion and sex and TV/ And you think you're so clever and classless and free/ But you're still fucking peasants as far as I can see/ A working class hero is something to be
John Lennon: Working Class Hero
1. Die Welt von gestern
taz FUTURZWEI | An guten Tagen erreicht meine Erinnerung die Ausläufer meines ersten Schuljahres, den Herbst des Jahres 1968. In diesem Jahr begann ich in dem Land, in dem ich aufwuchs, um es später zu verlassen, die Grundschule zu besuchen, die dort Volksschule heißt; ein Hinweis darauf, dass das Volk eine Grundbildung haben soll, und auch, dass diese Grundbildung vor allen Dingen dazu da ist, dass alle ausreichend verstehen, welche Pflichten sie in diesem Leben erwarten.
Das führte im Herbst 1968 zu meiner ersten Pflicht, dem Schulweg von etwa einer halben Stunde, den ich, wie alle Kinder damals, zu Fuß zu machen hatte, und zwar auf einem Weg, der nicht an der viel befahrenen und gefährlichen Straße entlang ging, sondern an einem Saumpfad entlang eines Bachlaufs, der dort, wo sich meine Schule befand, in einen kleineren Fluss mündete.
Dieser Weg hatte mehrere Tücken, etwa einen Deutschen Schäferhund, der hinter einem Zaun, aber wütend, alle Fußgänger verbellte, einen Spitz, der ebenso wütend war, aber gelegentlich sogar die Umzäunung zu überwinden suchte, um uns Kindern nachzustellen.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?
Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?
Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.
Das war lästig, zuweilen ärgerlich, aber weder ich noch meine Klassenkameraden fürchteten sich ernsthaft vor dem kleinen Mistköter. Wir waren sogar froh, wenn wir sein wütendes Keifen hörten, denn einige Meter vor den Hunden gab es auf dem Schulweg etwas, das uns weit größere Angst einjagte.
Es war ein etwa sieben, vielleicht acht Meter hoher Turm mit quadratischem Grundriss, an den sich eine kleine Fabrikhalle anschloss. Aus einem kleinen Schlot am Dach konnte man eine Rauchfahne erkennen.
Aus dem Inneren des Turms drang ein düsteres Brummen. Das war der Zustand, in dem sich uns der graue Turm meistens zeigte. Doch dem war nicht zu trauen. Unvermittelt, ganz plötzlich, begann das düstere Brummen in ein ohrenbetäubendes Knallen umzuschlagen, gefolgt von noch lauteren Schlägen, und der Schlot spie Dampf und Feuer.
Die Erde unter unseren Füßen bebte, und wir rannten um unser Leben. Auch wenn uns die Erwachsenen erzählten, dass wir nur vor einem Dampfhammer Angst hatten, der glühendes Eisen drosch, so wussten wir es doch besser: Das Monster auf unserem Schulweg im Herbst 1968, das war die Industriegesellschaft.
Dann, in der Energiekrise von 1973, in der Öl und Benzin teuer wurden, geriet die Wachstumsmaschine der Indus-trienationen ins Stottern. Die Energiekrise war eine Krise des industriellen Systems, seiner Werte, seiner Grundlagen. Der Turm wurde abgerissen. Die Kinder waren froh.
2. Scham
An die Stelle des alten Dampfhammers wurde ein kleines Trafohäuschen gestellt, für uns ein Sinnbild der Verwandlung zum Besseren.
Das Monster verschwand, so schien es. Für die Erwachsenen aber war das ein Fanal, der Anfang vom Ende. Scheibchenweise machten nun, über viele Jahre gestreckt, die Fabriken dicht. Und wie die Fabriken wurde auch das Selbstbewusstsein der Menschen einer Salami gleich in die Aufschnittmaschine der Transformation gespannt, und elend langsam, aber beständig, wurden viele hauchdünne Scheibchen davon abgeschnitten, bis nichts mehr übrig war.
Das dauerte. Doch schon Anfang der 1970er-Jahre war klar, dass die Industrie und ihre Mehrheitsgesellschaft, die Arbeiterklasse, nur mehr eine Richtung kannte: nach unten. Bei dieser Talfahrt gibt es indes zwei verschiedene Sorten von Passagieren: die Betroffenen, die den Abstieg verdrängen. Und die Leichenfledderer.
Die einen, die Betroffenen und Verdrängenden, schweigen oft, weil die Geschichte der Talfahrt der Industrie sie beschämt. Ihr Schweigen und ihre stille Wut sind der letzte Rest vom Stolz der Arbeiterklasse, von dem im Konsumkapitalismus nicht mehr viel geblieben ist. Immerhin: Wenn Arbeiterkinder etwas gelernt haben, dann das: Erst mal lieber nicht darüber zu reden, dass sie Arbeiterkinder sind, also eben keine Erben mit schlechtem Gewissen.
Das zu sagen verletzt die Bürgerkinder, die gern Arbeiterkinder spielen, weil das schick ist, aber immer mit doppelten Boden und Netz. Wer auf den doppelten Boden, die Herkunft, das Geld, die Möglichkeiten, die Netzwerke hinweist, dem nehmen die Bürgerkinder das übel. Niemand wird gern beim Leichenfleddern auf frischer Tat ertappt. Und irgendwann glauben die Leute selbst den Unsinn, den sie erzählen.
Ausnahmen bestätigen bloß die Regel: Thomas Schmid, der vom linken Studenten zum Herausgeber der Welt wurde, schrieb mal auf, wie er als Werkstudent und tüchtiger Agitator bei der Adam Opel AG mit einem lesenden Arbeiter in Berührung kam. 1970 war das, zur besten Industriezeit also, kurz vorm Wendepunkt. „Hier wirst du die Wahrheit nicht finden!«, rief der Arbeiter dem linken Studenten zu. Schmid und sein Kumpel Joschka Fischer, damals ebenfalls bei der Opel AG in der „politischen Betriebsarbeit« wirkend, haben das wohl verstanden. Wer noch?
So kommt es, dass dort, wo von der Arbeiterklasse und ihren Sorgen berichtet wird, viel gelogen und manipuliert wird. Auf links gedrehte Bürgerkinder denken ihr „Guck mal, ein Arbeiter!« so, wie der Ornithologe den seltenen Vogel sieht. Sie wollen es nicht besser wissen.
Sie wuchsen im Grünen auf, wo die Häuser ihrer Eltern standen, ihre Hunde verbellten Vorbeigehende auf der richtigen Seite des Zauns. Neben ihren Internaten und Gymnasien gab es keine Dampfhämmer. Und die Arbeiterklasse?
Sie wurde, was sie immer schon ein wenig war, nun endlich ganz, ein Geschäftsmodell für die, die sie erfunden hatten: Politiker, Politologen, Journalisten, Autoren, Soziologen, Gewerkschafter, Funktionäre und reiche Erben mit schlechtem Gewissen – all die Kümmerer und Vormünder der Arbeitenden also. Vergessen wir nicht: Das Schicksal des Proletariats ist die Grundlage der Karrieren ihrer „Beschützer«, die nicht einmal das erfunden haben, es genügte, sich das Modell von der Kirche zu leihen.
Der Priester lebt von den Sünden seiner Schäfchen, und er definiert die Sünden immer weiter, damit es nie zu einer Flaute im Geschäft kommt. Heute halten die falschen Freunde der Arbeitenden Stahlgipfel ab oder entwerfen Industriestrategien, führen Abwrackprämien und Industriestrompreise ein. Sie verwalten die Ängste derer, die sie vorgeben zu vertreten. Das ist das Elend der Arbeiterklasse, und die tiefe Anstandslosigkeit der großen Mehrzahl der sie vermeintlich Vertretenden.
Sie ermuntern die Arbeiterkinder dazu, zu lernen, sich zu bilden, aber wenn die Arbeiterkinder das dann tun und auch erfolgreich damit sind, dann wird aus der vermeintlichen Fürsorge Neid und Missgunst. Verbessere dich, aber bleib klein, stell keine Forderungen und nichts infrage, mach dich unsichtbar, und wenn du das nicht tust, dann zerkratzen wir dein Auto. Die, die vom Aufstieg reden, meinen Unterwerfung.
Sie sagen: aus Solidarität. Wirklich? Nicht aus Eigennutz? Haben sie nicht alle die Realität, auch die der Arbeit, der Industriegesellschaft, unzählige Male gebeugt, damit alles so bleiben kann, wie es ist? Wenn Deutschland eine Industrienation ist, dann muss der Prototyp des Arbeiters auch ein Industriearbeiter sein. Einmal Tragödie, danach stets nur Farce.
3. Perpetuum Mobile
Die Arbeiterklasse war die mit Abstand wichtigste politische und ökonomische Kraft des Industriekapitalismus. Die industrielle Revolution funktionierte, weil die allermeisten Menschen nichts hatten. Der Ökonom Joseph A. Schumpeter hat das hervorragend beschrieben: Die Machthaber des Ancien Régime brauchten keinen Kapitalismus, sie hatten ja schon alles, Maßanzüge, Kutschen, Schlösser und reichlich Personal. Die armen Schichten hatten nichts. Wer als Knecht und Magd auf Gutshöfen arbeitete, auch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft unfrei in jeder Sekunde ihres Lebens, der musste die aus unserer Sicht -furchtbaren Bedingungen in den Fabriken des 19. Jahrhunderts trotz allem als Verbesserung erlebt haben. Es gibt keine Wunder. Verbesserungen sind kleinste Schritte. Die schlagartigen Happy Ends, sie sind Märchen.
Die Arbeiterklasse ist eine Klasse, die sich auf Muskelkraft und Fleiß verlässt. Der Historiker Fernand Braudel hat einmal die Gesamtzahl der Pferdestärken im Jahr vor der Französischen Revolution (und ihrer Schwester, der industriellen Revolution) in ganz Europa errechnet, also alle menschliche, tierische Energie plus Segelschiffe, Wassermühlen und Windräder, dazu Brennstoffe zum Heizen und Kochen. Im besten Fall stehen jedem Europäer 0,4 PS zur Verfügung. Die Arbeitskraft aller 50 Millionen Europäer macht in Summe 900.000 PS aus.
Das ist das Startkapital für die große Transformation durch die Industrie. Maschinen und Mechaniken vervielfachen diese Energie bald. Aber auf Jahrzehnte hinaus ist nur durch äußerste körperliche Verausgabung ein Fortschritt zu erzielen. Das ist nicht neu. Das mittelhochdeutsche Wort Arbeit bedeutet so viel wie Mühsal, Leid, Plackerei. Arbeit dieser Art bedingt Ausdauer, körperlichen Einsatz, Fleiß, auf lateinisch Industria.
Das Leiden gibt der Klasse, ihr unermüdlicher Fleiß der ganzen Epoche der Industriegesellschaft den Namen.„Die protestantische Ethik des Kapitalismus«, wie Max Weber das nachbetrachtend nennt, ist ja tatsächlich eine Religion der Unermüdlichen. Auf der einen Seite ist die Plage. Auf der anderen der Stolz, diese Plage zu ertragen und ein wenig Wohlstand zu erlangen, wenngleich nie genug, um sich nicht mehr plagen zu müssen. Arbeit ist Glaube, und die Fabrik ist ihr Gotteshaus.
Die Rolle der Arbeiterklasse darin kommt ebenfalls einem Wunder gleich, jenem vom legendären Perpetuum mobile, der sich selbst erhaltenden Maschine. Die Massenproduktion, der Kern der Industrie, funktioniert nur, wenn es Massenmärkte gibt, also reichlich Leute, die das ganze Zeug auch kaufen und verbrauchen können. Wer einen Lohn und ein Leben haben will, muss arbeiten, um zu konsumieren, und produzieren, um zu verbrauchen.
Wer das in Westeuropa tut, ist rund fünfzigmal vermögender als seine Vorfahren vor zweihundert Jahren. Die Rolle der Arbeiterklasse ist Produktion und Konsum. Aber natürlich ist das Perpetuum mobile ein unrealistisches Konzept, nicht nur, wenn es um Ressourcenverbrauch und Erdzustand geht, kein Konzept, das trägt. Automatisierung – Maschinen, Methoden, Prozesse, Digitalisierung und künstliche Intelligenz – sorgt dafür, dass sich die Relation von Produzierenden und Verbrauchenden immer weiter zugunsten der Konsumenten verschiebt.
Arbeiter braucht man nur, solange es keine Maschine gibt, keinen Ersatz. Sie sind so lange geduldet, wie sie nicht überholt sind, und das gilt eben nicht nur durch technische Neuerungen, sondern auch durch globale Produktionsbedingungen. Weniger Lohn und mehr Arbeit sind in den aufsteigenden „verlängerten Werkbänken«, die das Industriemanagement in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens sucht, die Normalität. Längst hat aber auch in China und den asiatischen Tigerstaaten diese Entwicklung eingesetzt. Nirgendwo boomen Roboter und digitale Produktion so wie dort.
Die Industriearbeit kannibalisiert sich selbst. Das gilt auch für die Arbeiterklasse.
Weil wir aber eben die Arbeiterklasse immer nur als Klasse der Müssenden und nicht der Könnenden betrachten, kommen wir aus der Systematik des Ignorierens dieses Sachverhaltes nicht heraus. Alle müssen die Kannibalisierung verdrängen.
Die einstige Arbeiterklasse wie die Macht, die auf deren Existenz und politischer und kultureller Verwaltung baut. Wir haben keinen Plan für die Wirklichkeit, die längst da ist. Das ist das eigentliche Elend der Arbeiterklasse: nicht zu erkennen, was aus ihr geworden ist.
4. Wissensarbeiterklassenbewusstsein
An dieser Stelle muss wieder stehen, was wir immer wieder hören, die Lüge von der Industriegesellschaft und das Angstgespenst der De-Industrialisierung, mit der heute Linke und Rechte politische Kasse machen. Wahr ist: Drei Viertel der Menschen in diesem Land arbeiten – bei einem historischen Höchststand der Beschäftigtenzahlen – im Dienstleistungsbereich. Mehr als 43,3 Prozent aller Beschäftigten verrichten wissensbasierte Dienstleistungsarbeit. Mit anderen Worten: Sie sind Wissensarbeiter, was in Deutschland aber so verdächtig klingt wie Ladendiebstahl oder -Homeoffice.
Wissensarbeit ist selten körperliche Plackerei, dafür verlagern sich die Unannehmlichkeiten ins Mentale, auch ins Selbstverständnis von Arbeit. Wissensarbeit ist Normalarbeit. Dazu gehört mehr Selbstständigkeit und Selbstbestimmung in der Arbeit. „Wissensarbeitende wissen mehr über ihre Arbeit als ihr Chef«, hat das Peter Drucker genannt.
WOLF LOTTER: Die Gestörten. Wie sie unseren Wohlstand sichern über den Aufstieg der neuen Wissensarbeiterklasse. rowohlt/brand eins Buch 2023 – 128 Seiten, 20 Euro
Die neue A(rbeiter)-Klasse weiß aber nicht, was sie weiß – sie hat, um es mal ein wenig altmodisch zu sagen, kein Klassenbewusstsein. Hätte sie eins, dann wüsste sie, dass es die sie umgebende Arbeitskultur und die Institutionen von Politik und Verbänden sind, die komplett überholt sind. Sie verlängern die Industriegesellschaft ohne Not, und das ist ein – siehe Rettung hier und Stütze dort – teurer Spaß auf Kosten aller heute wirklich wichtigen Dinge: Die Transformation stockt, weil wir es den alten Kümmerern erlauben, den Industriezombie weiter zu füttern.
Oder anders, mit Karl Kraus gesagt: „Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen.« Deshalb ist alte Arbeitsethik, ganz gleich, ob vom Management kommend oder von Konservativen in allen Lagern, so falsch, und das gilt auch für die Arbeitsethik, an die sich die „unselbstständig Beschäftigten« so sehr klammern, weil sie glauben, sie würden dafür belohnt werden. Das ist aber nicht der Fall, im Gegenteil.
Die alte Arbeiterklasse definierte sich durch ihre Arbeitskraft. Ihre ganze Existenz hing davon ab. Ein Krüppel war nichts wert. Ein Alter war nichts wert. Erfahrung war nichts wert.
Die neue Arbeiterklasse definiert sich durch ihre Fähigkeit, sich nicht zu fügen, sondern sich selbstbewusst über Maschinen und Methoden zu stellen. Das Mündel wird Vormund. Know-how ist der entscheidende Teil von Wissen.
Jeder Idiot kann etwas auswendig lernen, aber erst in der praktischen Erprobung, in der persönlichen Anwendung wird daraus wirkliches, persönliches Wissen. Die Industriegesellschaft aber hat den Arbeitenden erzählt, es käme darauf an, dass man wolle, was man solle, und dazu müsse man erst mal das wissen, was alle wissen. Das war Dressur.
Man bildete die Leute nur für eine bestimmte Tätigkeit und nur so lange aus, dass sie ersetzbar waren – durch andere, jüngere, billigere Leute oder Maschinen. Für die Bürgerkinder hingegen war Bildung stets lernen, um zu lernen, also sich die Fähigkeit zum Kontext und zum Erkennen von neuen Sachverhalten draufzuschaffen. Die einen wurden zu Hamstern im Rad ausgebildet, die anderen zu Hamsterbesitzern.
Klassenbewusstsein über die verschiedenen sozialen Milieus hinweg würde aber bedeuten, den Käfig hinter sich zu lassen, also den Anspruch auf weitgehende Autonomie der Arbeitskraft, des Arbeitsortes und des Sinns und Zwecks von Arbeit zu fordern.
Die 68er sind im Marsch durch die Institutionen selbst zur Institution geworden, die die alten Verhältnisse verlängert. Die Baby-Boomer wiederum meinten, sie hätten die Frage der Emanzipation durch Arbeit und damit die Auflösung der Klassen hinter sich gelassen, und sie müssten sich nicht weiter den Kopf zerbrechen. Doch solche Fahrlässigkeiten, Bewusstlosigkeiten, sie enden immer mit der Angst vorm Dampfhammer.
Es mag sein, dass uns die Gen-Zler mit ihren aus unserer Perspektive maßlosen Ansprüchen auf die Nerven gehen. Sie formen aber gerade die Kontur einer neuen Klasse, einer Schicht an Selbstbestimmten, eben weil sie sagen, was sie wollen, und das ist der Kern allen Klassenbewusstseins und aller Emanzipation, auch wenn es noch ein paar Meter sind bis zum Ziel.
Die Forderung nach Sinn von Arbeit, nach Respekt und Anerkennung für das, was wir wollen und nicht, was wir sollen, das war von Anfang an das klare Ziel aller Arbeiterbewegungen. Nicht mitmachen, selbermachen. Und so kommt es, dass trotz aller Manipulationen, Paradoxien, Rückschritte und Irrtümer die Sache mit der neuen Arbeiterklasse eigentlich ziemlich gut unterwegs ist, denn keine Regierung, keine Politik, kein Verband kann dagegen etwas unternehmen – aber vielleicht etwas dafür tun, es wird ja niemand gezwungen, zu den Verlierern der Geschichte zu gehören.
John Lennon, das vaterlose Arbeiterkind aus Liverpool, sang „A working class hero is something to be.“
Das stimmt. Aber vielleicht brauchen wir gar keine Helden, sondern nur Leute, die wissen, was sie wollen und was sie sein könnten. An die Arbeit.
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