: Lotterleben in der Ursuppe
Im Postbahnhof verlas Frank Schätzing „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ und wurde endgültig zum Guido Knopp der Evolutionsbiologie
„Und hier die Wetteraussichten für die nächsten 20.000 Jahre: Die Menschheit wird aussterben; nachts muss mit Bodenfrost gerechnet werden.“ Zieht euch warm an, ihr Schriftsteller-Schüchterlinge, schlecht frisierten TV-Metereologen und mittelmäßig eloquenten Vorabend-Talkmaster: Wenn sich ein Kommunikationsprofi wie Frank Schätzing als evolutionsbiologischer Wetterfrosch versucht, seht ihr daneben blass wie unterernährte Tiefseequallen aus.
Das zeigte sich, als der Bestsellerautor am Dienstagabend im vollen, wenn auch nicht überfüllten Postbahnhof am Ostbahnhof aus seinem jüngsten Opus las. Mit Multimedia-Gimmicks, Filmeinspielungen, Diashows und Musikuntermalung beglückte er seine Gäste, während er allerlei zitierfähige Sentenzen aus seinem ozeanischen Sachbuch zum Besten gab. „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ ist eine Chronik der Meere und der Herkunft der Gattung Mensch. Den ursprünglich als dünnes Begleitbändchen zum Bestseller „Der Schwarm“ (2004) gedachten Text bringt Kiepenheuer & Witsch derzeit mit mehr als 500 Seiten und einer enormen Startauflage von 250.000 Exemplaren in den Handel.
Schätzing nahm seine Gäste mit in jene wässrige „Welt ganz ohne Nachttischlämpchen und Leuchtreklame“, die mit einer Durchschnittstiefe von vier Kilometern zwei Drittel des Planeten bedeckt. Als läse er vom Teleprompter ab, sprach er über weite Strecken frei – etwa darüber, wie es in der Ursuppe zuging.
Etwas Disziplin, bitte
„Im freien, aufgewühlten Urozean war alles noch eine große, chaotische Party, selbst im gemütlichen Eisensulfidbläschen trieb es anfangs jeder mit jedem, doch nun kehrt Ordnung ein. Schluss mit dem Lotterleben! Wir wollen doch mal Fische, Vögel und Menschen werden. Etwas Disziplin, bitte.“ Ja, da wagte einer einen indiskreten Blick in die Handtasche von „Miss Evolution“ – sogar vor dem ältesten überlieferten Penis des Frühzeitkrebses Colymbosathon ecplecticos gab es keine Scheu.
Mit seiner Performance erwies sich Frank Schätzing als Guido Knopp der Evolutionsbiologie. Statt „History“ und Weltkriegsgemetzel gibt es bei ihm eben eingängig aufbereitete Erdgeschichte: blutige Unterwasserschlachten zwischen ausgestorbenen Meeresungeheuern, bei denen Gewebefetzen über algigen Riffplateaus herumtreiben. Statt schluchzender Zeitzeugen hörte man die gruselige Geschichte eines Urzeithais: Die Begleitmusik steigerte sich zum dramatischen Tremolo, als der riesige Megalodon, Herrscher der Tiefsee, nach erbarmungslosen Fressschlachten kläglich auf dem Meeresboden verendete.
Es wirkt manchmal wie eine späte Abrechnung mit drögem Frontalunterricht, dass Schätzing vor allem Entertainer sein, zwischen Wissenschaft und Unterhaltung vermitteln will. Bei über fünfhundert Seiten darf man das mitunter etwas ranschmeißerische „Sciencetainment“ als zu penetrant empfinden. Doch die Lesung des studierten Kommunikationswissenschaftlers und Mitbegründers einer Kölner Werbeagentur wurde freundlich und mit etlichen Lachern aufgenommen – frenetisches Bejubeln eines Schreiber-Popstars geht anders. Die fünf Viertelstunden vergingen jedenfalls wie im Flug. Oder wie vor dem Fernseher.
BRIGITTE PREISSLER