■ Londoner Konferenz beschließt Wiederaufbau Bosniens: Zu viele Fragen ungeklärt
War die Londoner Konferenz der große Aufbruch der internationalen Gemeinschaft zur Befriedung und zum Wiederaufbau Bosniens? War sie das eindeutige Signal an die Menschen in dem kriegsversehrten Land und an die Millionen Flüchtlinge außerhalb, jetzt endlich einen Schlußstrich unter die letzten vier Jahre zu ziehen? Man möchte gern glauben, was die Veranstalter sagen. Doch die Skepsis ist größer.
Zum einen wußte keiner der Londoner Konferenzteilnehmer überzeugend zu begründen, warum die Schaffung fast derselben internationalen Struktur mit größtenteils denselben (überwiegend gescheiterten) Personen wie in den letzten drei Jahren Hoffnung auf eine erfolgreichere Bosnienpolitik machen soll. Wer glaubt, nur weil die UNO jetzt draußen ist, werde alles besser, macht sich was vor. Deren Versagen in Bosnien war das Versagen ihrer wichtigsten Mitgliedstaaten, die auch jetzt die neue Struktur bestimmen.
Zum zweiten bleibt auch nach der Konferenz ein Teil der Fragen ungeklärt, die das Dayton-Abkommen offengelassen hat: Welche Kompetenzen hat die von der Nato geführte Friedenstruppe bei der Umsetzung ziviler Teile des Abkommens? Wer übernimmt die notwendige flächendeckende Beobachtung der Menschenrechtssituation? Den zentralen Zielkonflikt des Abkommens suchten die Konferenzteilnehmer – mit Ausnahme von UNO-Flüchtlingshochkommissarin Ogata und Bosniens Außenminister Sacirbey – mit stereotypen Hinweisen auf dessen buchstabengerechte Erfüllung zu verdrängen. „Freiwillige“ Rückführung der Flüchtlinge und Wahlen „spätestens“ im August 1996 – das geht nicht zusammen. An schnellen Wahlen ist vornehmlich die Clinton-Administration interessiert. Sie will alle formalen Schritte zur Normalisierung der Lage in Bosnien bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November abhaken. Doch „faire, freie und demokratische Wahlen“ (Dayton-Abkommen) unter zwei bis drei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen sind nicht vorstellbar. Bleiben die USA und Europa dennoch stur bei dem Wahltermin, werden die ethnischen Trennungslinien im nächsten Sommer auch noch durch Wahlen legitimiert. Bis dahin dürften höchstens 100.000 Menschen in ihre Heimatorte zurückgekehrt sein, selbst wenn die internationale Gemeinschaft jetzt schnell überzeugende Sicherheitsgarantien und ausreichende materielle Anreize zur Rückkehr bietet. Aber nicht einmal das ist nach London, wo über Geld überhaupt nicht gesprochen worden ist, keineswegs sicher. Andreas Zumach, London
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