piwik no script img

London bereitet sich vorOlympische Großfantasien

Bei den Olympischen Spielen will sich London ab kommender Woche als Pop- und Start-up-Stadt präsentieren. Viele der Versprechen wirken schal.

Künstlerisches Wahrzeichen der Olympischen Spiele: Orbit Tower von Anish Kapoor Bild: dapd

Am 27. Juli 2012 wird es in London regnen. Über dem Olympiastadion im Osten der Stadt werden dunkle Wolken aufziehen, und über den grünen Hügeln auf dem Spielfeld wird sich ein typisch britischer Schauer ergießen. Dazu läuft Edward Elgars „Land of Hope and Glory“, eine Hymne auf den britischen Imperialismus. Kurz darauf wird sich der Soundtrack ändern. Anstatt Trompeten ertönt die kurz angeschlagene Gitarre von The-Jam-Kopf Paul Weller. Er singt über Blasorchester und stampfende Füße und zieht die Konsequenz: „I’m going underground“.

Von „Rule Britannia“ zu Cool Britannia in ein paar Minuten – so sieht Regisseur Danny Boyle („Slumdog Millionaire“) die Geschichte seiner Nation. Es ist eine alte olympische Tradition. China bebilderte in Peking seinen Aufstieg zur Supermacht; Großbritannien stilisiert sich in London als der postkoloniale Geburtsort von Pop. Im Jahr 2012 ist es eine nostalgische Vision. Das Großbritannien der Ära Blair, in dem die Finanzindustrie so viel Geld generierte, dass es in die Kunst- und Musikszene heruntertröpfeln konnte, ist ein Wahlversprechen der Vergangenheit, der längst vergangenen Ära von Britpop und dem Aufstieg Tony Blairs. Nur die Spiele, sie müssen weitergehen.

Als Reminiszenz an das linksliberale Versprechen der Britpop-Ära werden Blur zum Abschluss der Spiele im Hyde Park spielen. Blur-Sänger Damon Albarn hat die Spiele dann auch schon standesgemäß als „zu kommerziell“ gescholten. Das klingt nach einem eher schlichten antikapitalistischen Flugblatt, aber er findet Widerhall. Die Anzahl der vom IOC zugelassenen Sponsoren sinkt, während der Werbeumsatz und der Einfluss dieser Sponsoren wachsen. Erst nach einer Protestaktion der Verkäufer durften im Olympiastadion auch andere Pommes als die von McDonald’s verkauft werden.

Solche Proteste gefährden die ohnehin schon geringe Akzeptanz der Spiele unter den Londonern, deren Alltag durch die Spiele eingeschränkt wird. In der BBC-Comedy „Twenty Twelve“ muss deshalb ein „Olympic Deliverance Committee“ alle Probleme zwischen Imageschaden und Verkehrsplanung ausbügeln. Der Name ist ein Wortspiel – „Deliverance“ bedeutet „Erlösung“.

24 Tage vor Beginn der Spiele liegt der Vorsitzende des Komitees im Krankenhaus, weil ihm die Sicherheitsbeauftragte der Polizei in den Fuß geschossen hat. Es ist eine passende Metapher – das Sicherheitsbudget der Spiele hat sich auf 553 Millionen britische Pfund (etwa 700 Millionen Euro) verdoppelt, plus nach letzten Schätzungen 600 Millionen Pfund Polizeikosten.

Marode Infrastruktur

Die Sicherheitsproblematik überschattet die Großerzählung der Olympischen Spiele. Gerade weil die Londoner Infrastruktur so marode ist, haben die Organisatoren damit geworben, dass die Spiele der „Legacy and Sustainability“ dienen sollen. Der Olympiapark soll der Auftakt zu einer groß angelegten Regeneration des Londoner Ostens sein, und seine Architektur folgt dieser Prämisse.

Zara Hadids Schwimmhalle und das Olympiastadion werden erst nach dem Ende der Spiele ihre endgültige Form annehmen, wenn die provisorischen Zuschauertribünen abgebaut sind. „Legacy Mode“ heißt diese Nutzung in der Sprache der Planer, und im Moment sieht es so aus, als könnte sie auch „Leerstand“ heißen. Der Fußballclub West Ham United muss nach einem Jahr in der zweiten Liga auf die Genehmigung warten, um das Stadion wie geplant nutzen zu dürfen.

Bild: taz

Sonntaz

Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 21./22.7.2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

„Sustainability and Legacy“ ist dabei nur die letzte einer Reihe von Fantasien über das Flusstal des River Lea, an dessen südlichem Ende der Olympiapark liegt. Es ist ein Brachland, durchzogen von Reservoirs und Böden voller Industriegifte. Erschlossen haben es aber nicht die Stadtplaner, sondern die Künstler. Die psychogeografischen Wanderungen des Schriftstellers Ian Sinclair durch die „Tarkowskische Wildnis“ des Flusstals und den benachbarten Stadtteil Hackney haben der Gegend einen gegenkulturellen Nimbus verliehen, der Neuankömmlinge anzieht.

In den Achtzigern suchten sie einen authentischen Arbeiterstadtteil, ab den mittleren Neunzigern machte der Boom der Young British Artists Hackney zum Fixpunkt auf der kulturellen Landkarte Londons. Aktuell durchzieht die pixelige „New Aesthetic“ als Nebenprodukt der Start-ups rund um den „Silicon Roundabout“ an der Old Street den gesamten Stadtteil.

Diese Start-ups beflügeln erneut die Fantasien. Die Spiele sollen den Anstoß für „eines der großartigsten Technologiezentren der Welt“ zwischen Hackney und dem Olympiapark in Newham geben, meinte der konservative Premier David Cameron. Dabei hat sich an der Lage im Stadtteil in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. Trotz der Enklaven aus Bioluxus und Street Art ist Hackney immer noch der ärmste Stadtteil Londons.

Zwischen Hochhauswohnsilos und Nichtorten

Die Künstlerin Laura Oldfield Ford hat diese Armut in ihrem Buch „Savage Messiah“ eingefangen. Zwischen den Hochhauswohnsilos und Nichtorten erscheinen in ihren Zeichnungen immer wieder die Geister derjenigen, die diese Orte noch bewohnen, aber längst nicht mehr das Stadtbild prägen.

Die Olympischen Spiele verschärfen diesen Zustand. Shelter, eine Obdachlosenorganisation, berichtet von kurzfristigen Kündigungen im Vorfeld der Spiele, um die so frei gewordenen Wohnungen an Touristen zu vermieten. Die Frustration über Armut und Polizeigewalt, die im August 2011 die viertägigen Riots auslöste, ist weiterhin im Osten Londons spürbar. Die Polizei hat seitdem aufgerüstet und ist bereit, mit Gummigeschossen, Tränengas und einer Schallkanone gegen Menschenaufläufe vorzugehen.

In der Bevölkerung wandelt sich die Stimmung jedoch. Laut einer Studie der London School of Economics ist selbst in den Communities, die am stärksten unter den Ausschreitungen gelitten haben, das Verständnis für die Plünderer groß.

Auf so viel Verständnis brauchen die Olympischen Spiele nicht zu hoffen. Dafür ist nicht zuletzt das Vorzeigeprojekt des Olympiaparks verantwortlich – der 115 Meter hohe „Arcelor Mittal Orbit“, eine Skulptur von Anish Kapoor. Auch seine Entstehungsgeschichte liest sich wie Agitprop. Aber auch sie ist wahr.

In der Garderobe des Weltwirtschaftsforums in Davos begegnet Londons Bürgermeister Boris Johnson 2009 einem der reichsten Männer Großbritanniens, dem Stahlmagnaten Lakshmi Mittal. Sie unterhalten sich über Johnsons Lieblingsprojekt – ein öffentliches Kunstwerk für die Spiele, ein Eiffelturm für den Londoner Osten. Nach 45 Sekunden ist das Gespräch beendet. Mittal spendet 16 Millionen Pfund für die Stahlkonstruktion.

Um Newham herum gelotst

Der Guardian lobte den Orbit nach seiner Fertigstellung als „humanistisches“ Kunstwerk. Er sei ebenso „unperfekt wie unsere Körper“. Die Bevölkerung der anliegenden Stadtviertel verhöhnt ihn dagegen als verkrüppelte Achterbahn. Je näher die Spiele rücken, desto schaler wirkt das Versprechen, dass Touristen in der Zukunft ein wenig Geld nach Newham, dem sechstärmsten Stadtteil Großbritanniens, tragen werden. Wer den Olympiapark besucht, reist mit der Bahn aus dem Zentrum an, wird an einer Shopping Mall vorbei zu den Spielstätten gelotst und bekommt die umliegenden Stadtteile nur dann zu Gesicht, wenn man sie bewusst aufsucht.

Der aus Newham stammende Rapper Plan B glaubt die Nachhaltigkeitsrhetorik der Spiele deshalb auch nicht mehr. „Who closed down the community centres?“, will er auf seinem neuen Album „Ill Manors“ wissen. Als im vergangenen Sommer die Riots ausbrachen, drehte er gerade in Newham, zwei Kilometer vom Olympiapark entfernt, den gleichnamigen Spielfilm. Er handelt von Jugendgangs, Drogenhandel und Zwangsprostitution.

Die Darsteller hatte er in den Jugendclubs des Stadtteils gefunden. Plan B hätte einer von ihnen sein können, nur durch Zufall wurde er vom Schulabbrecher über den Umweg Popstar zum Millionär. Und als Sprecher der Zeichenlosen muss er mit „Ill Manors“ die authentische Gegengeschichte der Riots erzählen. Er tut dies auch über die Musik hinaus.

Die Einnahmen aus seinem Film sollen in eine Stiftung fließen, mit der er Ausbildungsplätze für Jugendliche in Newham schaffen will. Im Mutterland des Pop sind im olympischen Jahr auf einmal Musiker für die Sozialarbeit zuständig. Die Spiele können beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!