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■ London: Der größte und verrückteste Marathon der Welt„Go, Spiderman, go!“

London (taz) – Bugs Bunny hatte schon die Faust zur Siegerpose erhoben, als er kurz vor Big Ben plötzlich schmerzvoll seine Karnickelwangen verzog. Die Masse, die beide Seiten der Prachtallee vor dem Buckingham-Palast säumte, war außer sich. Nur noch wenige Meter vor der erlösenden Westminster-Brücke hatte Bunny ein Wadenkrampf ereilt. Als dann Spiderman in wehendem Cape um die Ecke gewetzt kam, teilte sich die johlende Menge in zwei Lager. „Go, Spiderman, go“, gröhlte die eine Hälfte, während es einen Zuschauer auf der anderen Straßenseite nicht mehr hielt und er unter der Absperrung hindurchkrabbelte, um dem großen Langohr fix eine Läufe-Massage angedeihen zu lassen. Doch Bunny hatte Spiderman inzwischen längst im Schatten seiner großen Ohren zurückgelassen – und war auch schon vergessen, als eine andere Erscheinung die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen verlangte. Überholt von einem künstlichen Darmausgang (an der Brust eines Läufers im OP-Kittel) verteilte eine joggende Nonne Kußhändchen, bevor sie mit dem Schlachtruf „Seid gesegnet, meine Kinder“ selig in den Endspurt schwebte. Über die gleiche Ziellinie, über die – vier Stunden und elf Minuten nach dem Startschuß – das baumelnde Ding an der Brust des Chirurgen wippte, waren zwei Stunden zuvor unter den gleichen tosenden Beifallsstürmen die ersten SpitzensportlerInnen gesprintet. Zwei Stunden und 27 Minuten hatte die deutsche Läuferin Katrin Dorre als schnellste unter den Frauen für die 26 Meilen (41,6 Kilometer) gebraucht. Nur 17 Minuten schneller war der Brite Earmonn Martin, der Platz eins unter den Männern belegte. Nach gut acht Stunden waren dann auch die letzten StarterInnen durchs Ziel gehumpelt.

So unterschiedlich die Zeiten, so gemeinsam war das Erlebnis, das rund 30.000 LäuferInnen aus aller Welt sich am Sonntag teilten – Profis wie AmateurInnen, Dicke wie Dünne, Große wie Kleine, Teenager wie über 60jährige: Dabeisein beim größten Marathon der Welt, dem London-Marathon. Die einen mit verbissenem Ehrgeiz, die anderen, um einfach einmal mitzumachen, ob als Bunny, Nonne oder eben als Darmausgang. Alle waren sie gemeinsam gestartet – 64 von ihnen in Rollstühlen, manche auf Krücken. „Diese Atmosphäre“, schwärmte ein marathonerfahrener Bürokaufmann, der schon zum dritten Mal dabei war, „gibt es einfach nur bei diesem Lauf, das ist ein Traum!“ Geboren wurde dieser Traum vor 13 Jahren, als der britische Leichtathlet und Goldmedaillen-Gewinner Chris Brusher mit einem Whisky grübelnd beim Schreiben einer Kolumne über den New-York-Marathon saß. Sein Versuch, ein Pendant vor der eigenen Haustür zu starten, entwickelte sich zu dem heutigen Volksfest, das so gänzlich ohne Popcorn-, Coca-Cola- und Burger- Stände zu einem der unkommerziellsten Massenereignisse der Welt wurde. Nicht gerade vor Brushers, sondern vor der königlichen Haustür in Greenwich beginnt der lange Lauf. Daß er eine Meile länger ist als andere Marathons, haben ebenfalls die Royals zu verantworten. Als nämlich 1908 der olympische Marathon in London ausgetragen wurde, war es Prinzessin Alexandra, die auf die glorreiche Idee kam, die Strecke bis vor ihr Wohnzimmerfenster zu verlegen, um von dort mit ihren Kindern behaglich den Start miterleben zu können. Die Strecke wuchs auf 26 Meilen und 385 Yards – zum Leidwesen der keuchenden LäuferInnen, die nicht selten am Ziel einer Meinung sind: „Never ever again!“ Ein Schwur, der meist vergessen ist, noch bevor der Muskelkater auskuriert ist. Antje Passenheim

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