: London: Abtreibungsgesetz bleibt
■ Großbritanniens liberales Abtreibungsgesetz aus dem Jahre 1967 überlebt auch die jüngste Attacke der konservativen Pro–Life–Lobby / Mit Änderungsanträgen wurde die Abstimmung erfolgreich hinausgeschoben
Aus London Rolf Paasch
Ganze zwölf Minuten Abstimmungszeit vor dem Unterhaus fehlten am Freitagabend der britischen Anti–Abtreibungslobby, um die geforderte Senkung der legalen Abtreibungsfrist auf 20 oder gar 18 Wochen durchzusetzen. Großbritannien behält damit das liberalste Abtreibungsgesetz Eu ropas, das Schwangerschaftsabbrüche bis zur 28. Woche erlaubt. Die private Gesetzesvorlage des katholischen Abgeordneten der sozialliberalen Partei, David Alton, scheiterte lediglich an den prozeduralen Hürden der parlamentarischen Debattierpraxis, weil die Befürworter der bestehenden Regelung die auf fünf Stunden angesetzte Debattierzeit mit ihren Änderungsanträgen so ausfüllten, daß für die Abstimmung über die Verkürzung der legalen Abtreibungsfristen am Ende keine Zeit mehr blieb. Der Debatte um die „Alton– Bill“ war eine monatelange Kampagne der Anti–Abtreibungs– Lobby vorausgegangen, die im gegenwärtigen Klima einer politisch–kulturellen Reaktion endlich die Chance für eine Rücknahme des Abtreibungsgesetzes aus dem Jahre 1967 witterte. Mit finanzieller Unterstützung der stockkonservativen Pro–Life– Lobby aus den USA hatten David Altons Anhänger Propagandamaterial in Umlauf gebracht, auf dem ein angeblich in der 18. Woche abgetriebener, daumenlutschender Fötus abgebildet war. Bald stellte sich jedoch heraus, daß das Photo eine Frühgeburt zeigte, deren menschliche Haltung im Reagenzglas sorgfältig arrangiert worden war. Der von missionarischem Eifer angetriebene Junggeselle David Alton hatte sich die Chance auf eine Änderung der legalen Abtreibungsfristen selbst verbaut, als er den durchaus mehrheitsfähigen Kompromißvorschlag von 24 Wochen im Ausschuß–Stadium ausgeschlagen hatte. 1986 sind in Großbritannien nur 29 der ingesamt 172.000 Abtreibungen nach der 24. Schwangerschaftswoche durchgeführt worden. In Wirklichkeit geht es der Anti–Abtreibungs–Lobby denn auch gar nicht um eine Verkürzung der Fristen, sondern um ein grundsätzliches Abtreibungsverbot. Die Frauenbewegung sowie PraktikerInnen des staatlichen Gesundheitdienstes NHS wollen stattdessen die gegenwärtige Abtreibungsprozedur, bei der zwei Ärzte des NHS konsultiert werden müssen, durch eine „Abtreibung auf Wunsch“ bis zur 12. bzw. 18. Woche ersetzt haben, wie sie in den USA oder in Schweden praktiziert wird. Jegliche Verkürzung der Abtreibungsfristen würde in Großbritannien bei den gegenwärtigen Wartezeiten im NHS nur zu Lasten sozial benachteiligter Frauen gehen, die sich aus den verschiedensten Gründen häufig erst spät zur Abtreibung entscheiden. Alton hofft nun darauf, daß ihm als Kompensation für die Verzögerungstaktik seiner Gegner am kommenden Freitag noch einmal Parlamentszeit eingeräumt wird.
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