Lohnungleichheit in Deutschland: "Männerarbeit ist anders eingruppiert"
Die Wirtschaftsforscherin Astrid Ziegler hat Software-Tools begutachtet, die in Kanada Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern messen. Davon könnten auch deutsche Unternehmer lernen.
taz: Frau Ziegler, neuerdings möchte Arbeitsminister Olaf Scholz etwas gegen die Unterbezahlung von Frauen unternehmen. Sie haben für sein Ministerium untersucht, was man tun könnte. Was wäre das?
Astrid Ziegler: Das Problem ist: In Deutschland fehlt bisher der politisch-rechtliche Rahmen, um Lohnungleichheit zu bekämpfen. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, die erlauben würden, die Gehaltsstruktur in einem Unternehmen überhaupt erst einmal transparent zu machen. Das ist etwa in Kanada oder in der Schweiz anders.
Welche Gesetze gibt es dort?
In der Schweiz wird zum Beispiel die Vergabe öffentlicher Aufträge von diskriminierungsfreien Löhnen abhängig gemacht. In Kanada hat die Provinz Quebec seit zehn Jahren ein Lohngleichheitsmodell. Unternehmen ab 10 Mitarbeitern müssen prüfen, ob es bei weiblichen Jobs Lohndiskriminierung gibt.
Und nun werden die Kanadierinnen besser bezahlt?
Ja. Die Überprüfung zeigte, dass fast ein Drittel aller Frauen in den typischen Frauenberufen unterbezahlt war. Der Lohn der betroffenen Frauen wurde daraufhin um durchschnittlich 6,5 Prozent angehoben.
Die Arbeitgeber behaupten in Deutschland, dass Diskriminierungen nur Einzelfälle sein können.
Das stimmt wohl so nicht, wie das Beispiel Kanada zeigt. Dazu kommt, dass wir offiziell in Deutschland bisher noch kein Instrument haben, um Lohnungleichheit zu messen. Wir wissen es also schlicht nicht.
Nun hat Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen kürzlich das Programm "Logib" vorgestellt, mit dem Unternehmen sich selbst testen können. Ist das nicht genau so ein Instrument?
Ein statistisches Messinstrument wie Logib nützt allein nicht viel. Sie können grobe Hinweise erhalten, ob eine Lohndiskriminierung in einem Betrieb vorliegt. Aber entscheidend ist, ob der Lohn angemessen ist. Das heißt, wir brauchen einen genauen Vergleich der Anforderungsprofile von Tätigkeiten, die von Frauen und Männern ausgeübt werden. Dazu muss vor allem kontrolliert werden, ob die Beschreibung der Anforderungen mit den tatsächlichen Anforderungen übereinstimmt.
Es könnte sein, dass laut Logib alles in Ordnung ist, aber eigentlich sind vielleicht die Anforderungen an den Arbeitsplatz einer Frau nicht korrekt beschrieben worden?
Genau. Man braucht zu dieser rein statistischen Analyse auch noch eine qualitative. Wenn sich herausstellt, dass Frauen in einem Betrieb weniger verdienen, dann muss den Ursachen nachgegangen werden, anstatt zu sagen: Na, die haben eben die weniger qualifizierten Jobs. Das stimmt nämlich oft nicht.
ASTRID ZIEGLER ist Referatsleiterin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung.
Nicht? Aber die Arbeitgeber behaupten, ihre Tarifverträge seien geschlechtsneutral und damit frei von Diskriminierungen.
Es gibt viele Studien, die zeigen, dass das nicht stimmt. Das hängt mit der Tradition unserer "Frauenberufe" zusammen. Frauen verdienten sich durch diese typischen Pflegeberufe ein Zubrot. Während Männer Familienernährer waren, also ein Familieneinkommen verdienen sollten. Das Erbe ist nun, dass zum Beispiel Küchenhilfen im öffentlichen Dienst schlechter bezahlt werden als Straßenreiniger - obwohl die Anforderungen als gleichwertig gelten. In der betrieblichen Entgeltpraxis findet sich auch oft, dass männliche Arbeit im Umgang mit Maschinen und körperlicher Kraft höher eingruppiert wird als körperlicher Krafteinsatz von Frauen.
Und das alles wird in Kanada anders gemacht?
In kleineren Unternehmen wird ein Software-Tool genutzt. Es hilft Arbeitgebern, die Tätigkeiten der Berufsgruppen in ihrem Unternehmen zu bewerten. Diese Bewertung und die Einkommensdaten fließen in ein Programm ein, das überprüft, ob zwischen den überwiegend mit Frauen bzw. Männern besetzten Berufsgruppen ein Lohnunterschied existiert und wie hoch dieser ist. In einem zweiten Schritt wird überprüft, ob die bisher praktizierte Entlohnung von Beschäftigten mit der neuen, objektiven Arbeitsbewertung übereinstimmt. Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten müssen zudem ein Lohngleichheitskomitee einsetzen, das zu zwei Dritteln aus Arbeitnehmervertretern und mindestens zur Hälfte aus Frauen besteht. Eine Lohngleichheitskommission auf Provinzebene überwacht die Umsetzung des Gesetzes.
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