Löw und der DFB: Das verschobene Pokern
Knapp 130 Tage vor der Fußball-WM in Südafrika konnten sich der DFB und Bundestrainer Löw nicht auf einen neuen Vertrag einigen. Jetzt müssen beide Seiten mit Unruhe und viel Spekulationen leben.
FRANKFURT dpa | Der Handschlag-Vertrag ist null und nichtig, das Verhältnis zwischen Bundestrainer Joachim Löw und der DFB-Spitze ist vier Monate vor der Fußball-WM stark belastet. Nach heftigen Differenzen zwischen der sportlichen Leitung der Nationalmannschaft und dem Verband ist die Zukunft von Löw und auch von Teammanager Oliver Bierhoff nach dem Turnier in Südafrika wieder völlig offen.
DFB-Chef Theo Zwanziger sprach nach einer Sondersitzung des DFB-Präsidiums am Donnerstag in Frankfurt sogar von "strukturellen Problemen und wirtschaftlichen Fragen", bei denen beide Seiten für eine schnelle Lösung "zu weit auseinander" seien. Die Situation sei jetzt vergleichbar mit der von 2006, "als Jürgen Klinsmann Bundestrainer war", bemerkte Generalsekretär Wolfgang Niersbach. Klinsmann hatte nach dem "Sommermärchen" und WM-Platz drei seinen Platz für Löw geräumt.
Die Auseinandersetzung um neue Verträge mit dem Bundestrainer, dessen Assistenten und Bierhoff ist offenbar so brisant, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bei weiteren Verhandlungen die WM-Mission 2010 in Gefahr sieht. "Wir wollen die Vorbereitung auf die WM nicht gefährden und keine weitere Kraft vergeuden", erklärte Zwanziger, der auch bei seinem Statement in der Verbands-Zentrale deutlich auf Distanz zu Bierhoff ging. Manager Bierhoff und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, an dessen Kompetenzen für die U-21-Auswahl sich ebenfalls heftige Diskussionen entfacht hatten, nahmen an der Abstimmung des Präsidiums gar nicht mehr teil.
Die Auswirkungen des überraschend heftigen Vertrags- und Machtpokers sind 128 Tage vor dem ersten WM-Spiel der deutschen Mannschaft am 13. Juni gegen Australien von allen Beteiligten noch nicht abzuschätzen. "Wir hätten gern weiter Verhandlungen geführt, weil wir wissen, dass uns dieses Thema bis zur WM und auch während des Turniers weiter begleiten wird", sagte Bierhoff. Zwanziger schob den Schwarzen Peter Löw und Bierhoff zu, die bei den Gesprächen im Januar "überraschend neue Vorstellungen" entwickelt hätten, "die aus Sicht des DFB-Präsidiums zum Teil auch im Blick auf die Satzung nicht zu akzeptieren sind", betonte der DFB-Chef. Einzelheiten nannte er jedoch nicht.
Beim Poker um einen neuen Vertrag für Löw und seinen gesamten Trainerstab soll es nicht nur um noch deutlicher abgegrenzte Kompetenzen, sondern auch um Geld gehen. Laut Bild würde die sportliche Leitung der Nationalmannschaft für einen neuen Zweijahreskontrakt eine sogenannte "Signing Fee" in Höhe eines Jahresgehalts erwarten. Die Bonuszahlungen würden sowohl für Löw als auch für Bierhoff und die Bundestrainer-Assistenten fällig. Zudem soll Manager Bierhoff in seinem neuen Vertrag ein Veto-Recht bei der Suche nach einem späteren neuen Bundestrainer haben wollen.
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, ging es bei den Vorstellungen der sportlichen Leitung um eine gemeinsame Bonus-Zahlung, aufgeteilt auf Löw, Bierhoff sowie die Assistenztrainer Andreas Köpke und Hansi Flick, die überdies noch verhandelbar gewesen sei. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte der DFB der sportlichen Leitung kurzfristig ein Vertragsangebot gemacht und eine schnelle Entscheidung gefordert. Dieser Alternativvorschlag wurde von Löw und Co. jedoch abgelehnt und sorgte für Verwunderung. Zwanziger erklärte: "Grundsätzlich sind weiterhin beide Seiten an einer Fortsetzung der guten Zusammenarbeit interessiert, aber bei wichtigen inhaltlichen Aspekten konnten wir uns nicht einigen."
Löw auf der einen Seite und der Verband auf der anderen müssen nun mit der Unruhe und vielen Spekulationen bei der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft rechnen, die am 3. März mit einem Testspiel gegen Argentinien in die nächste Phase tritt. Auch der gefundene Kompromiss für die U 21, den beide Parteien als "gute Lösung" einstuften, wird dies kaum verhindern können.
Löw kann den U-21-Cheftrainer, die Spielphilosophie und jede Spieler-Berufung weiter bestimmen. Sammer wird Trainer Rainer Adrion "in dem Maße unterstützen, wie er das auch beim Gewinn des EM-Titels im vergangenen Sommer bei dem damaligen Cheftrainer Horst Hrubesch getan hat", heißt es in einer DFB- Presseerklärung.
Für Bierhoff kam der geplatzte Deal unerwartet. "Wir hätten die Vertragsverlängerungen gerne schnell im Vorfeld der WM geklärt. Aber wir akzeptieren die Entscheidung des Präsidiums und konzentrieren uns mit unverändertem Engagement auf die Vorbereitung der WM", versprach der Manager.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett