piwik no script img

DEBATTELobbyistenauftrieb oder: Das Elend mit der Hauptstadt

■ Bonn oder Berlin: Die Entscheidung über den Regierungssitz hat Symbolkraft / Vereinigung oder Anschluß ist die Alternative

Werkstatt Bonn“ — dieses Markenzeichen für Bonn und seinen Anspruch auf den Regierungssitz wurde Ende letzter Woche von Gerhard Baum vorgestellt. Welch sympathische Formel! Man sieht ihn förmlich vor sich, den bescheidenen und fleißigen Werktätigen der Legislative, der ungefährdet vom Nachtleben und sonstigen geistigen Impulsen sich von Montag früh bis Freitag mittag unablässig dem öffentlichen Wohl widmet. Dann darf er wieder heim zur Familie, zum Wahlkreis, zu den basisdemokratischen Wonnen der Region. Kein Wunder, daß sich um Bonn jetzt eine Wagenburg des guten Deutschen gebildet hat, jener Abart des deutschen Wesens, der zur Einheit politisch nichts einfiel, außer an den eigenen Verlust zu denken: Da scharen sich um Bonn die anspruchslosen Demokraten, die aus der Geschichte gelernt haben; die Feinde des Nationalstaates, der Großmacht Deutschland; die Gegner des Zentralismus und die Freunde der regionalen Demokratie. Eine politische Sauberkeit, mit der sich gut leben läßt, da auf die Weltmacht D-Mark und auf die Stärke der deutschen Exportindustrie Verlaß ist. Jeder Lobbyismus argumentiert mit höheren Werten und dem Gemeinwohl am liebsten. Diese Demokratenfraktion für Bonn ist so durchsichtig wie ein ertappter Bankräuber, der sich über soziale Ungleichheit erregt oder ein Waffenhändler, der sich um die wehrhafte Demokratie sorgt. Es ist ein besonderer Fall der Vernuttung der Politik und es nimmt nicht Wunder, daß in dieser Lobby ein Norbert Blüm vorneweg marschiert.

Nein, der nervus rerum liegt bloß wie in einem kariösen Zahn. Es geht um Haben und Nicht-Haben; und in dieser Republik waren die Habenden allemal stärker als die Nicht-Habenden. Und ausgerechnet die hunderttausend beamtete Eigenheimbesitzer mit ihren Wochenendrefugien in der Eifel, die vom Staat eine Wertsteigerungsgarantie für Immobilienbesitz erwarten; die nordrhein-westfälischen Interessenten an den Steuereinnahmen; die katholische Provinz, die den Berliner Protestantismus immer noch nicht vergessen hat und die ganzen südlichen Landsmannschaften, für die Berlin schon immer zu groß, zu unruhig, zu kostspielig war — sie alle haben unendlich mehr Macht hierzulande, als sie je gute Argumente haben können. Und Berlin blamiert sich unentwegt und unnötig, indem es aus allgemeinen politischen Gründen aufs lobbyistische Niveau herabsinkt und ausgerechnet mit dem Haushaltsdefizit der Stadt argumentiert.

Trotzdem, ein Wort zur plötzlich entdeckten demokratischen Kraft der Region. Der bundesdeutsche Föderalismus ist demokratisch, weil er Teil eines Systems von check and balances ist und nicht weil aus den Ländern die großen demokratischen Impulse erfolgen. Eher nationale Auseinandersetzungen wie die Spiegelaffäre oder die 68er Bewegung prägten die Wendepunkte der bundesrepublikanischen Demokratie. Wäre Demokratie ausschließlich Ländersache, würde womöglich der Geist von Memmingen als der Geist des Grundgesetzes das Land bestimmen. Völlig neu aber ist die Entdeckung, daß Bonn die Hochburg des demokratischen Föderalismus sei.Vor der deutschen Einheit war es die Hochburg des Provinzialismus. Es war das „Raumschiff Bonn“, von dem aus „zu den Menschen draußen im Lande geredet“ wurde. Bonn war immer der Brutofen, in dem Lobbyismus, Ministerialbürokratie und Parlament zu jenem Gebilde verbacken wurde, das man Bonner Politik nennt. Keine Stadtöffentlichkeit und schon gar nicht der 'Bonner Generalanzeiger‘ gefährdete diesen Prozeß. In Berlin immerhin würden Kultur, Kritik und Kurtisanen diese Politik des warmen Nestes gar nicht erst erlauben. Nicht die Weltstadt ist eine Gefahr für den Föderalismus, sondern der Provinzialismus selbst.

Die Bonn-Lobby von links-libertär bis rechts-reaktionär hat die seltene Unverfrorenheit, mit Anspielungen über die Reichshauptstadt Berlin zu arbeiten. Dazu wäre viel zu sagen; aber bei einem derartigen Niveau der Zweideutigkeit darf doch daran erinnert werden, daß nicht das braune Berlin die demokratische Region unterwarf, sondern die braune Flut aus der Provinz nach Berlin kam. Ohne die geschichtliche Schuld der Stadt wegzureden, ist immer noch wahr, daß die kleine deutsche Minderheit, die Widerstand leistete oder Juden versteckte, in Berlin immer noch am größten war.

Gleichwohl, mit historischen Argumenten läßt sich der Hauptstadtstreit nicht entscheiden. Mit einer Ausnahme: das ist das Argument der jüngsten deutschen Geschichte, der Geschichte des Jahres 1990. Nur in Bonn war jenes Amalgam von bürokratischer Effizienz und politischer Blindheit, das sich die „Herstellung (!) der deutschen Einheit“ nennt, machbar. Nur in Bonn konnte man glauben, daß das realsozialistische Superkombinat mit Namen „Treuhandanstalt“ eine ganze Volkswirtschaft transformieren könne; nur in Bonn konnte man an den Aufbau einer demokratischen, rechtsstaatlichen, öffentlichen Verwaltung aus dem Stand glauben, ohne die Einnahmen der öffentlichen Hand, ohne die Menschen dafür zu haben. Nur in Bonn konnte man sich den Luxus eines Fundamentalismus in der Eigentumsfrage leisten, der alle Anfänge der freien Marktwirtschaft durch die Ostdeutschen selber ruiniert hat.

Bonn als Synonym für gescheiterte Vereinigung

Natürlich kommt die Wahrheit auch nach Bonn, gegebenenfalls mit Sternmärschen am Wochenende, wenn die Abgeordneten zuhause im Wahlkreis sind. Aber eben: Sie kommt immer verzögert, zu spät. Genau die Zeit, in der Politik gemacht werden muß, wird verspielt. Doch richtige Politik gibt es nur zum richtigen Zeitpunkt. Politiker können sich Folgen ihres Tuns offenbar erst vorstellen, wenn sie die Augen aufmachen müssen. Das eben muß man in Bonn nicht so schnell. Bonn — als politische Struktur — ist die institutionalisierte Vorstellungslosigkeit. Darum ist Bonn zum Synonym für die gescheiterte Einigungspolitik, für das Versagen der Bonner politischen Klasse geworden.

Empört sind nun die Abgeordneten, daß der Bundespräsident politisch für Berlin intervenierte. Aber er ist geradezu verpflichtet, bei einer solchen Schicksalsfrage den verfassungsrechtlichen Spielraum auszureizen. Täte er es nicht, wäre er tatsächlich nur Dekoration. Seine Intervention reizt natürlich, weil sie vom Zweifel getragen ist, ob man eine solche Entscheidung dem Parlament allein überlassen darf, wie es der Einigungsvertrag vorschreibt. Als Politiker neigt natürlich der Parlamentarier dazu, möglichst frei von den Folgen seiner Politik zu bleiben; beim Bonner Politiker ist diese Neigung habituell geworden und Bonn ist insbesondere zur konstitutionellen Verantwortungslosigkeit der Politik degeneriert, nicht zuletzt dewegen, weil da ungebrochen Politik unter Seinesgleichen betrieben werden kann. Und Seinesgleichen trifft sich, nach Parteien getrennt, in den drei Bonner Lokalen. Stammgäste eben, und so haben wir eine Politik nach Stammgastart. Bei einem Bonner Parlament, in dem es einen dramatischen Mangel an exekutierter politischer Gewissenfreiheit gibt, in dem Abgeordnete nur ganz selten den Mut haben, ihre bornierten Interessen und Fraktionszwänge zu durchbrechen, nützt jede Kritik am Parlamentarier dem Parlamentarismus.

Ein Symbol für die Vereinigung fehlt noch

Das ganze biedersinnige „Werkstatt Bonn“-Gefasel, die plötzliche Fetischisierung der regionalen Demokratie bestätigen negativ, daß es bei der Hauptstadtentscheidung um mehr geht: Es ist eine politische Richtungsentscheidung, ein notwendiger Akt symbolischen Handelns. Bonn oder Berlin: Die Entscheidung wird die Macht des politischen Symbols haben. Das Zerbrechen der Mauer gab nicht nur die Reisefreiheit, sondern war eben auch das symbolische Ende der DDR. Ein Symbol für die Vereinigung steht noch aus. Das schiefe Lächeln de Mazières beim Händedruck mit dem Kanzler oder Kohls Bad in den Dresdener Massen, das kann es doch nicht gewesen sein. Die Vereinigung hat Millionen von Menschen in ein Labyrinth von Ängsten, Hoffnungen, Demütigungen und existentiellen Bedrohungen gejagt. Es fehlt das große Signal, der große Anspruch, das Zeichen — daß Sich-vereinen auch Teilen heißt; daß nun auch die Bundesrepublik zu ihrem Ende gekommen ist; daß es um das gemeinsame Neue geht und nicht um die Verwaltung des schlechten Neuen durch das gute Alte. Der Kanzler, der seinen großen historischen Erfolg um Willen seines Wahlprofits im Herbst 1990 verspielt hat, spürt es jetzt wohl. Aber die Symbolversuche wie das „Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost“ erinnern mehr an den Einfallsreichtum eines Reichspropagandaministeriums. Und der Vierjahresplan für die gleichen Lebensverhältnisse läßt an die vielen Fünfjahrespläne denken, mit denen das „Weltniveau“ erreicht werden sollte. Nein, die Entscheidung für die Hauptstadt Berlin ist die letzte Chance, ein solches Symbol für die Vereinigung aus freien Stücken zu setzen. Es wäre ein Aufbruch des Westens als Antwort auf den Aufbruch im Osten.

Bonn ist der Ort des Anschlusses der DDR

Gewiß, Berlin ist ein tief verstörtes Gemeinwesen, weit entfernt vom Glanz und dem zivilisatorischen Reichtum der zwanziger Jahre. Aber es ist der Ort der Konfrontation mit dem Osten, mit den sozialen Verwerfungen des gebrochenen Gehäuses realsozialistischer Sicherheit. Es hat nolens volens eine Öffentlichkeit, die in Echtzeit reagiert. Schon die Unruhe, Direktheit und kritische Spannung der größten Stadt setzt die politische Klasse Bonns und ihre Politik des gemachten Nestes unter den fälligen Anspruch der Realität. Berlin, das ist der lebendige Schmerz der Teilung im geeinten Deutschland, mithin der einzig denkbare Ort der Vereinigung. Bonn, das ist der Ort des Anschlusses der DDR, der Verwaltung des Anschlusses, der Ort einer Fiktion von Fortsetzbarkeit der Bundesrepublik mit einem angeschlossenen armen Osten. Es steht zu befürchten, daß die Lobbyisten des gemachten Nestes jetzt obsiegen. Die Entscheidung für Bonn wäre eine politische Katastrophe; sie wäre überdies nicht einmal ein Jahrzehnt durchhaltbar. Man wird es so machen, wie es die SPD-Baracke vormachte: schon einmal einen Koffer nach Berlin. Aber die einmalige Chance, wie immer in diesem Lande, würde bei allen späteren Korrekturversuchen dem Bann der Verspätung nicht mehr entkommen. Klaus Hartung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen