Littmanns Reaktion auf Bühnenverbot: Herrschaftsinstrument der Nazis
Die Rote Flora in Hamburg hat dem Theaterchef Littmann ein Auftrittsverbot erteilt, weil er ein „Gentrifizierer“ sei. Littmann vergleicht nun die Rotfloristen mit Nazis.
HAMBURG taz | Corny Littmann hat der Roten Flora eine diktatorische Praxis vorgeworfen, die „böse Erinnerungen weckt“. Weil das Plenum des besetzten Gebäudes im Hamburger Schanzenviertel dem Chef des Schmidt-Theaters und früheren Präsidenten des FC St. Pauli ein Bühnenverbot erteilt hat, spricht der sogar von einem „Herrschaftsinstrument der Nazis“.
Littmann sollte am 24. April die Lesung einer Rio-Reiser-Biografie musikalisch begleiten – bei der Veranstaltung „Lesen ohne Atomstrom“, die sich gegen die vom Stromkonzern gesponserten „Vattenfall-Lesetage“ richtet. Das Flora-Plenum will Littmann nun nicht auftreten lassen. Das Argument: Er sei eine treibende Kraft der Gentrifizierung auf St. Pauli.
Littmann hält das Vorgehen für der Rotfloristen für skandalös. „Ich stehe seit über 35 Jahren als offen schwuler Künstler national und international auf Bühnen, ein Auftrittsverbot ist mir noch nie erteilt worden“, sagt er.
Mit Bandmitgliedern von „Ton Steine Scherben“, Jan Plewka und Jan Delay sollte Littmann Reisers Lieder singen. Littmann war seit 1977 mit Reiser befreundet und hat für ihn das Stück „Irrenanstalt“ geschrieben. Die Scherben spielten Parolen wie „Das ist unser Haus – ihr kriegt uns hier nicht raus“, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ oder „Keine Macht für Niemand“, die das Selbstverständnis der Linken bis heute prägen.
„Mit denen steht man dann in einer Reihe“
Als Gegenveranstaltung zu den Vattenfall Lesetagen gibt es in Hamburg unter anderem "Lesen ohne Atomstrom - die erneuerbaren Lesetage". Ein paar Highlights:
Iris Berben und Roger Willemsen präsentieren am 21. April im Schauspielhaus Texte über Widerstand, Ungehorsam und Empörung. Dazu gibt es Live-Musik von den Sisters.
Jean Ziegler stellt am 22. in den Kammerspielen sein neuestes Werk "Wir lassen sie verhungern - die Massenvernichtung in der Dritten Welt" vor. Anschließend fordert Rudolf Hickel "Zerschlagt die Banken". Der Blues-Musiker Abi Wallenstein musiziert dazu.
Corny Littmann sollte am 24. mitmachen bei der konzertanten Lesung der inoffiziellen Rio-Reiser-Biografie von Hollow Skai in der Roten Flora. Der Autor liest selbst. Die Veranstaltung wird per Video nach draußen übertragen.
„Es gibt zwei mögliche Reaktionen auf ein solches Auftrittsverbot“, sagt Littmann der taz. Entweder gehe man davon aus, dass man es mit pubertierenden Jugendlichen zu tun habe oder man nehme das Verhalten ernst – „und das tue ich“. Dann müsse man sich die Länder ansehen, wo Künstlern Auftrittsverbote erteilt werden. „Mit denen steht man dann in einer Reihe“, sagt er.
Dieses Vorgehen sei keine Lappalie. In einem offenen Brief an die Rote Flora schreibt Littmann: „Wie sich ein gegen mich gerichtetes Auftrittsverbot mit euren hehren antifaschistischen Ansprüchen verträgt, wie ihr Freiheit der Kunst definiert, das würde ich zu gerne erfahren.“
Das Argument der Rotfloristen, Littmann sei eine treibende Kraft der Gentrifizierung St. Paulis, nennt der Theatermann „eine infame, abenteuerliche Behauptung, die jeder Grundlage entbehrt“. Littmann war einer der Geschäftsführer der Spielbudenplatz Betreibergesellschaft, die den Platz an der Reeperbahn bespielt. Die behauptete „damit einhergehende Vertreibungspolitik“ sei aber wohl eine Lachnummer aus dem Comedy-Repertoire der Roten Flora, so Littmann: „Wer ist denn bitte vom Platz vertrieben worden, kennt ihr noch die Sandwüste aus den 90er Jahren?“
Hollow Skai sieht den Streit gelassen. Der Autor der „inoffiziellen Biografie des Königs von Deutschland“ wurde vom Veranstalter des Literaturfestivals, dem Verein „Kultur für alle“, gefragt, ob er einen Leseabend zu Reiser macht. „Ich habe dann meine Freunde von Ton Steine Scherben gefragt, ob sie mitmachen.“ Corny Littmann habe sich angeboten, dazu zu kommen.
„Das was da jetzt auf St. Pauli läuft, da hab ich keine Ahnung“, sagt Skai. Aber der Abend sei der falsche Ort, diesen Konflikt auszutragen. Priorität habe es, eine Lesung gegen Vattenfall zu machen – und einen Abend für Rio Reiser. „Ich finde es nicht richtig, ein Auftrittsverbot zu erteilen“, sagt er. „Aber den Abend werden wir auch ohne Corny machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“