Literatur unterwegs: Es kommt ein Bus gefahren
Im äußersten Norden von Schleswig-Holstein gibt es einen Bus, der als fahrbare Leihbibliothek Bücher in die Dörfer bringt. Das Angebot wird sehr geschätzt.
TARP UND UMGEBUNG taz | Die Schilder schrumpfen, die Straßen auch. Bald sind wir in Klappholz. Hier gibt es Häuser mit Fahnenmast im Garten. Der Rasen ist kurz, der Mast nicht. Am Mast hängt, nass, die Landesflagge. Es regnet. Vor den Häusern der Hinweis, dass man Hasen, Eier, Kartoffeln und Schweinefleisch kaufen kann. Wir müssen in Schleswig-Holstein sein.
Wir fahren an Maisfeldern vorbei. Willi Langbehn fährt, neben ihm sitzt Ronja Sommer, 25, Bibliothekarin. Wir sitzen in einem Bücherbus, um 9.30 Uhr sind wir in Tarp, Industriegebiet, losgefahren. Vier Tage in der Woche fahren Sommer und Langbehn zu den Leuten auf den Dörfern um Flensburg und bringen ihnen: Bücher.
Bücherbusse gibt in Schleswig-Holstein seit 1962, der erste war der in Tarp, dann kam Rendsburg. Zum Jubiläum sagte Anke Spoorendonk (SSW), schleswig-holsteinische Ministerin für Justiz, Kultur und Europa: „Bücherbusse sind für mich kein Luxusgut, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit“, und zwar sagte sie das „ganz deutlich“.
Früher waren es drei Busse
Im Industriegebiet von Tarp sitzt die Fahrbücherei seit 2002, vorher war sie in Flensburg im Deutschen Haus am Berliner Platz. Früher waren es drei Busse, heute sind es zwei. Es gibt Leute, die sagen, dass die Bevölkerung auf dem Land inzwischen alles per Internet macht, auch Bücher leihen, und dass sie den Bus nicht mehr brauchen. Aber wenn man das zugrunde legt, was wir an diesem Vormittag erleben, ist das Quatsch, und die Leute, die das sagen, wollen Geld sparen und nehmen zunehmenden Analphabetismus in Kauf.
3.000 Bücher fahren nach Klappholz, das sind für jeden Klappholzer sechs. Weil sich der Kreis Schleswig-Flensburg aus der Finanzierung der Busse zurückgezogen hat, müssen die Gemeinden den Bus mitfinanzieren. „Das ist nicht überall so“, erklärt Sommer, „nur hier bei uns.“ Die Gemeinden zahlen im Jahr 2,20 Euro pro Einwohner für den Bücherbus, das macht knapp über tausend Euro für Klappholz. Wer hier Bücher leiht, zahlt als Erwachsener 30 Euro pro Jahr, als Kind nichts.
Es geht darum, die Hürden niedrig zu halten. Lesen ist schon schwierig genug. „Jugendliche“, sagt Sommer, „sind schwer zu kriegen.“ Vor allem Jungs. Am besten geht es noch, wenn der Lehrer die ganze Klasse zum Bücherbus schleift, und alle ein bisschen Zeit zum Schmökern haben. „Dann liest sich der eine oder andere fest“, sagt Sommer.
Nun sind wir glücklich in Klappholz, Dorfstraße 17, es ist Schlag 9.50 Uhr. Fahrer Langbehn hat es drauf. Und da steht eine Frau im Regen und wartet. Jedes Jahr wird der Fahrplan geprüft, gibt es bessere Standorte, welcher Standort ist zu welcher Zeit der richtige? Auch jedes Buch ist überlegt. „Im Moment sind rund 2.000 Leser angemeldet“, sagt Sommer. Die Zahl bleibt mehr oder weniger gleich. Der Anspruch, was die Bücher anbelangt, ist der nämliche wie in jeder Standbücherei, die Leser sollen das Futter kriegen, das sie verlangen.
Auch die Leute in Klappholz, Taarstedt und Twedt, da fahren wir heute hin, lesen nach der Bestsellerliste. Die Besonderheit ist: „Wenn im Landfrauenverein ein Buch besprochen wird, etwa die ’Dienstagsfrauen‘ von Monika Peetz, dann stehen fünf Frauen im Bus und wollen das Buch“, sagt Sommer. Im Moment ist alles von Hermann Hesse weg, der vor 50 Jahren gestorben und deshalb in den Zeitungen, im Fernsehen und Radio ist.
„Die Bücher werden dann bestellt und wir besorgen sie“, sagt Sommer, „wir können alles besorgen, was es in Schleswig-Holstein in Leihbüchereien gibt.“ Vorbestellungen kosten einen Euro. Die schwierigen Sachen, etwa wissenschaftliche Literatur, die von außerhalb kommen, kosten zwei Euro. „Dass so was bestellt wird, passiert nicht oft“, sagt Sommer.
Viel Gabor Steingart
Die politische Ausrichtung ist eher konservativ: Viel Gabor Steingart, Friedrich Merz und Meinhard Miegel. Dazu jede Menge Liebesromane, historische Romane, Krimis. „Komm ihr wieder oder hört ihr up?“, fragt die Frau, die gewartet hat, als Langbehn ihre Bücher über den Computer verbucht. „Klappholz hat erst mal nicht gekündigt“, antwortet Sommer. Die Frau nickt. „Im Dorp wird noch viel gelesen“, sagt sie. Sie ist so um die Sechzig. „Ihr könnt bleiben bis ich dod bin“, sagt sie, „gipps denn kein Sponsor?“ Sommer schüttelt den Kopf. Für die Alten, sagt die Frau und packt ihre Bücher in eine große Tüte, damit sie nicht nass werden, sei der Bus wichtig.
Weiter nach Taarstedt, großer Ort, 870 Einwohner, 10.40 Uhr rollen wir vor den Kindergarten in der Hauptstraße. Sechs Erwachsene und ein Kind im Bus. Bringen sackweise Bücher, sieben, acht, die Leihfrist beträgt acht Wochen. Eine Frau packt Langbehn alles auf den kleinen Tisch und sagt: „Ich les nix, ich hab keine Zeit, das ist alles für meine Mutter, die liest die ganze Zeit. Das ist gut, dann will sie nix von mir.“ In den letzten Tagen sei die Mutter an ihren Buchschrank gegangen, weil sie alle Bücherbus-Bücher ausgelesen hatte. „Wir haben nicht den gleichen Geschmack“, sagt die Frau.
In sechs Wochen wieder
Dann klettert Langbehn aus dem Bus und trägt einer älteren Dame, die mit dem Auto gekommen ist, den schweren Bücherkorb in den Bus. Die hat nicht nur ein paar schwere Brocken im Korb, auch Hörbücher. Erst in sechs Wochen kommt der Bus wieder, da decken sich die Leute ein. Eine jüngere Frau lässt ihre Hörbücher verlängern: „Hab ich mit angefangen und will nun wissen, wie es ausgeht.“
Ein paar Leute müssen ihren Jahresbeitrag zahlen. „Du kennst das noch anders“, sagt Langbehn zu einer Frau, die ihr Portemonnaie in der Hand hat. Die nickt. Neil Young steht bei den CDs, Bob Dylan und Eric Clapton. Hört niemand. „Auch da werden die Sachen geliehen, die in den Charts sind“, sagt Sommer.
Auf nach Twedt, 510 Einwohner. Im Bus gibt es Zeitschriften, etwa über Angeln, aber auch die gängigen Magazine, Bücher mit extra großen Buchstaben, Bücher über Landwirtschaft, Bücher auf Plattdeutsch und eine ganze Reihe über Schleswig-Holstein, den Kreis, die Geschichte des äußersten Zipfels Norddeutschlands. „Das muss sein“, sagt Sommer.
Es gibt kurze Beratungsgespräche zwischen Sommer und Leserinnen, es gibt Schnack unter den Leserinnen, es geht um den Kindergarten und neue Spielsachen, die gerade angekommen sind.
Irgendwann stell’ ich mich an eine Bushaltestelle und warte auf den Bus nach Schleswig. Wir fahren dann an dunkelgrünen Hecken, die auf grasgrünen Wiesen wachsen, vorbei. Es regnet. Das Land ist gar nicht so flach, viele Häuser sehen aus, als ob die Leute drin begraben sind. Schon gut, dass es den Bücherbus gibt.
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