Litauer demonstrieren gegen AKW

Finnische Journalisten berichten von mindestens 70.000 Atomkraftgegnern / Proteste gegen Havarie-Reaktor in Ignalina / 287.000 Unterschriften gesammelt /Untersuchung verlangt  ■  Aus Helsinki Reinhard Wolff

Die bislang vermutlich größte Anti-Atomkraft-Demonstration der UdSSR hat am Samstag in der Nähe des litauischen AKW Ignalina stattgefunden. Dies berichteten finnische Journalisten am Wochenende aus Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Von dort konnten sie die Vorbereitungen für die Demonstration verfolgen - das Gebiet des AKW Ignalina selbst ist für Ausländer gesperrt.

Nach den in Finnland eingegangenen Meldungen sollen zwischen 70.000 und 90.000 Teilnehmer an dem Protest teilgenommen haben. Von Vilnius aus fuhren LKWs und Busse mit Demonstranten nach Ignalina, wobei viele Fahrzeuge mit der bis vor kurzem noch verbotenen rot-grün-gelben Nationalflagge Litauens geschmückt waren. Wahrscheinlich ist die große Resonanz zu dieser Demonstration auf einen Vorfall vor knapp zwei Wochen zurückzuführen. Damals war im zweiten Reaktor des AKW Ignalina ein Feuer ausgebrochen, das nach offiziellen Berichten gelöscht worden sein soll, noch bevor Radioaktivität entweichen konnte. An dieser offiziellen Version wurden von Demonstrationsteilnehmern deutliche Zweifel geäußert. Eine unabhängige Untersuchungskommission, die das Unglück untersuchen soll, wurde gefordert.

Wie im Umfeld der Demonstration weiterhin bekannt wurde, haben mittlerweile schon 287.000 Litauer eine Resolution unterschrieben, die Aufklärung über Hergang und Auswirkungen des Brandes fordert. Ein Exemplar der Resolution wurde an Parteichef Gorbatschow geschickt. Die Nachrichtenagentur 'Tass‘ berichtete, daß die litauische Regierung sich inzwischen mit der Bitte, eine Staatskommission mit der Untersuchung des AKW zu beauftragen, an den Ministerrat der UdSSR gewendet hat.

Litauische Umweltschützer haben schon in den vergangenen Monaten wiederholt auf die ökologischen Schäden hingewiesen, die von den Reaktoren des AKWs Iganlina ausgehen bzw. drohen. Ein Reaktor des AKW ist schon seit mehreren Jahren in Betrieb, der zweite - in dem kürzlich der Brand ausgebrochen war - seit vergangenem Jahr. Der Bau eines dritten Reaktors wurde kürzlich unterbrochen, da noch Sicherheitsuntersuchungen notwendig seien. Von einem ursprünglich geplanten vierten Reaktor ist seit Tschernobyl nicht mehr die Rede. Die Reaktoren von Ignalina sind vom Tschernobyl-Typ.